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8. Mai 2020

Digitale Trends in der Tragwerksplanung

Die Digitalisierung im Bauwesen schreitet mit zunehmender Dynamik voran. Tragwerksplaner, eine in der Zahl eher kleinere Gruppe in der Baubranche, gelten nicht immer als die Ingenieure, die sofort auf alle neuen Züge aufspringen. Oft auch aus gutem Grund. Nicht wenige sehen darin eine Ursache, warum Themen wie die Anwendung der BIM-Methode hier noch nicht der Standard sind. Die zurückliegenden Jahre zeigen jedoch, dass ein Umdenken einsetzt und neue, digitale Trends offen aufgenommen werden und zur Anwendung kommen.

digitalBau als Branchentreffen

Im Februar 2020 fand zum ersten Mal eine neue Messe in Köln zum Thema "Digitalisierung im Bauwesen" statt. Dies ist nach vielen schwierigen Jahren für typische Bau-Software-Messen die erste erfolgreiche Neuplatzierung einer Messe in dieser Branche. Bemerkenswert ist auch, dass bei diesem Event der Fokus ausschließlich auf Software gelegt wurde und dadurch dieses Branchensegment nicht, wie oft üblich, in der Vielzahl von sonst noch anwesenden Bauprodukt-Herstellern vom Ziegel bis zur Dachrinne unterging. Man darf gespannt sein, ob der erfolgreiche Auftakt sich in wachsenden Aussteller- und Besucherzahlen in zwei Jahren fortsetzt. Fest steht schon jetzt, dass es ein Treffpunkt für alle namhaften Softwarehersteller im Bauwesen allgemein und für die Tragwerksplanung im Besonderen war. Wer die Entwicklungen der letzten Jahre aufmerksam verfolgt, kann einige Trends erkennen und dazu war die digitalBau auch eine gute Gelegenheit.

Building Information Modeling gewinnt sehr an Wichtigkeit

Seit mehr als 20 Jahren befassen sich Bauingenieure damit, wie man mit digitalen Möglichkeiten die gesamte Lebensdauer von Gebäuden abbilden kann. Aber erst jetzt scheinen sich mehr als nur einige Vorreiter damit zu beschäftigen. Noch mehr, auch die Tragwerksplaner erkennen das Thema als Chance, neue Auftraggeber zu erschließen, effektiver zu arbeiten und ihr Planungsbüro als innovativ und fortschrittlich zu präsentieren. Letzteres ist ein nicht zu unterschätzender Punkt, wenn es darum geht, schwer zu findende Fachingenieure einzustellen und auch länger an sich zu binden.

Neue Softwareversionen beinhalten verstärkt Tools, um mit 3D-Daten besser umgehen zu können und auf digitaler Basis zu kommunizieren. Voraus gingen einige Jahre, in denen die Architekten die Vorzüge von digitalen Zwillingen schätzen gelernt haben. Kann man doch damit attraktive Visualisierungen erstellen sowie schnell und genau Kostenabschätzungen durchführen. Sind die dreidimensionalen Modelle erst einmal angefertigt, so will man diese auch für andere Aufgaben wie zum Beispiel für die Statik nutzen.

Warum nochmals von vorne anfangen, wenn man die Modelle mit der zertifizierten Open-BIM-Schnittstelle doch einlesen kann? Das waren die Gedankengänge bisher. Doch mittlerweile hat sich auch herumgesprochen, dass ein digitales Rechenmodell etwas fundamental anderes darstellt als ein vom Architekten erstelltes 3D-Modell, auch wenn es auf den ersten Blick gleich aussieht. Es basiert zwar auf den Abmessungen und Modelldaten des digitalen Zwillings, enthält aber nicht zwangsläufig die für eine Berechnung wesentlichen Angaben zu Auflagern, Gelenken und zum Beispiel den zugehörigen Lasten und Lastkombinationen. Zudem gibt es im Analysemodell wesentliche Vereinfachungen, ohne die auch in heutiger Zeit keine effektive Berechnung möglich wäre. Beispielsweise werden im BIM-Modell alle Bauteile als Volumen beschrieben.

Im Statik-Modell wird aber in den seltensten Fällen mit Volumenelementen gerechnet. Vielmehr werden etwa Stützen und Träger als 1D-Finite-Elemente modelliert, also mit einem Anfangs- und einem Endknoten und einer Linie dazwischen. Die Steifigkeit des Elements wird mit den Querschnittswerten und der Länge der Linie beschrieben. 3D-Volumen-Geometrien degenerieren also zu simplen Drahtmodellen. Dies hat wiederum zur Folge, dass sich Mittellinien und -flächen von Stützen, Trägern, Decken oder Wänden nicht immer in einem Knoten oder einer Linie treffen und man so in einfacher Weise zu dem angesprochenen Drahtmodell kommt. Vielmehr muss die Lage der statischen Wirklinie oft verschoben und genauer definiert werden, um ein zusammenhängendes, vernetzbares Analysemodell zu erhalten.

Da dies Ingenieurverstand benötigt, lässt sich dies nicht immer ganz durch Software automatisieren und kann viel Aufwand bedeuten. In zeitgemäßer BIM-Software wird dieses Problem mit abgebildet und es werden beide Modelle – auch das statische Modell – mitgeführt. Spezielle Tools verlängern, verkürzen oder finden naheliegende Punkte und legen diese als statische Knoten fest. Werden diese Statikmodelle im nächsten Schritt dann an die Statiksoftware übergeben, benötigt man ein gemeinsames Austauschformat. Dieses muss nicht zwangsläufig das herstellerunabhängige IFC-Format sein. Es existieren eine Reihe von Formaten sowie direkte Kopplungen von BIM- und Statiksoftware, bei denen die Daten direkt ohne Zwischendatei von einem Programm in das andere geschrieben werden.

Neue digitale Lösungen für Windlastsimulationen

Ist das Modell einmal in der Statiksoftware angekommen, muss dieses weiter verfeinert werden. Neben Auflagern, Gelenken und anderen mechanischen Parametern, ist das Aufbringen der Belastung ein großer Arbeitsschritt. Bei der traditionellen Vorgehensweise werden Lastannahmen vorgenommen und diese als Stab- beziehungsweise Flächenlasten in das analytische Modell eingegeben. Für regelmäßige Gebäudeformen gibt es Anleitungen in den Lastnormen, welche Lasten anzusetzen sind. Der Ansatz von Lasten aus Eigengewicht, Nutzlasten und Schneelasten bereitet in der Regel nur wenig Probleme. Anders sieht es bei der Windbelastung aus. Windströmungen und Verwirbelungen sind nur für einfache Körper geregelt. Schon so übliche Dinge wie Dachgauben, Dachvorsprünge, Vordächer oder teilweise offene Gebäude können schnell zu Situationen führen, in denen nicht klar ist, ob Sog- oder Drucklasten vorherrschen und wie groß diese sind. Doch gerade die Möglichkeit digital zu planen, kann auch das Verlangen befeuern, architektonisch anspruchsvolle und extravagante Gebäudeformen zu entwerfen. Selbst wenn hier Lastannahmen getroffen werden können, ist deren Auftragen an das Statikmodell oft mühselig und arbeitsintensiv. Wie auch in der Tragwerksberechnung selbst, ist die Anwendung von FEM-basierten Methoden bei der Simulation von Windströmungen möglich und wird zum Beispiel im Maschinenbau bei der Untersuchung von Strömungen standardmäßig eingesetzt. Es liegt als nahe, digitale Simulationen auch für Windströmungen und zur Ermittlung von Winddrücken auf Gebäuden einzusetzen.

Auf der digitalBau in Köln war deshalb auf dem Stand des Statiksoftware-Herstellers Dlubal die Simulation von Windlasten ein Hauptthema. Das zugehörige Programm mit dem Namen RWIND Simulation kann als digitaler Windkanal interpretiert werden. Was sonst aufwändig und kostenintensiv in einem der wenigen Windkanälen in Deutschland an nachgebauten Modellen untersucht wird, kann jetzt viel schneller analysiert werden. Digitale Modelle, wie diese bei der Anwendung der BIM-Methode sowieso vorhanden sind, werden in die Software importiert und können so mit hohen Detaillierungsgrad dargestellt werden. Zusätzlich spielen die Topografie der Umgebung und die benachbarte Bebauung eine Rolle bei Windsimulationen. Diese lassen sich ebenfalls zusätzlich importieren und in Bezug zum Gebäude ausrichten. In den einschlägigen Normen sind die grundlegenden anzusetzenden Windgeschwindigkeiten und Turbulenzen in Diagrammen festgelegt. Diese können in der Software als vertikales Windprofil normenabhängig definiert werden. Mit diesen Vorgaben beginnt die Simulation der Windströmungen aus unterschiedlichen Richtungen. Als Ergebnis erhält man animierte Visualisierungen der Windströmungen und Geschwindigkeiten sowie die daraus auf die Tragwerksoberfläche wirkenden Drücke, die dann als statische Last verwendet werden können.

Noch effektiver kann der digitale Windkanal im Zusammenspiel mit der Statiksoftware RFEM eingesetzt werden. 3D-Statikmodelle können direkt in den digitalen Windkanal übertragen werden. Nach Abschluss der Simulation werden Lasten automatisch als statischer Lastfall übernommen. Mit der Verwendung von CFD-Software wie RWIND Simulation wird ein wesentlicher Teil der Statik auf eine ganz andere Ebene gehoben. Auf CFD basierende Lastannahmen bieten die Chance, realistischere und eventuell auch wirtschaftlichere und sicherere Lasteinwirkungen für die Tragstrukturen zu ermitteln. Durch die Verwendung von 3D-Modellen in der Statik und Windsimulation ergeben sich zudem Zeitersparnisse bei der Eingabe von Windlasten. Dem gegenüber steht die Diskrepanz, dass Lastansätze, die aufgrund von Lastnormen getroffen werden, nicht mit den numerisch ermittelten Lasten aus der CFD-Analyse übereinstimmen. Dies lässt Zweifel aufkommen, insbesondere dann, wenn das Lastniveau geringer ist. Hier sind sicher Referenzberechnungen und die Absicherung der numerischen Ergebnisse gegenüber bekannten Benchmarks notwendig.

Jedoch kann man auch argumentieren, dass reale Windkanalversuche die Wirklichkeit nur näherungsweise abbilden und dies schon allein wegen der maßstäblich sehr verkleinerten Modelle, wegen Messfehlern und bedingt durch die Verteilung der Sensoren. Zudem kann ein realer Windkanalversuch die Elastizität von Gebäuden nur schwer erfassen. Hier haben numerische Lösungen zukünftig ein großes Potential. Die Lastnormen sind zudem sehr vereinfachte Methoden, die in der Regel als auf der sicheren Seite liegendes Hilfsmittel betrachtet werden. Beide Methoden der Lastermittlung – realer Windkanalversuch und vereinfachte Methoden der Lastnorm – stellen also auch nur Näherungen des realen Zustands dar. Daher sind mittels CFD und RWIND ermittelte Lasten mindestens eine gute Alternative und tragen zum Verständnis der tatsächlichen Verhältnisse bei. Dies ist ein gutes Beispiel, wie die Bauwirtschaft durch Digitalisierung, BIM und innovative und neue Produkte profitieren kann. Neben dem Architektur- und Analysemodell ist auch ein digitales Windmodell notwendig. Es bleibt zu hoffen, dass rechtliche Gegebenheiten und die Methoden der Prüfung von statischen Berechnungen an die neuen Möglichkeiten angepasst werden und den technischen Fortschritt mitgestalten.

Cloudbasierte Dienstleistungen

Ein weiteres viel diskutiertes Thema ist die Verwendung von cloudbasierten Dienstleistungen für die Tragwerksplanung. Dabei geht es aber nicht nur um die Speicherung von Daten auf Servern, sondern auch um die Bereitstellung von Informationen im Internet und deren automatisierter Nutzung. Im Bezug zur Statik gibt es bereits viele Beispiele, bei denen Berechnungen im Internet durchgeführt werden können. Ein Beispiel, wie die Tragwerksplanung durch cloudbasierte Dienste profitieren kann, ist das Geo-Zonen-Tool von Dlubal Software. Durch diesen Dienst können weltweit für sehr viele Länder Wind-, Schnee-, Erdbeben- und Tornadolasten abgegriffen werden. Geplant sind auch Erweiterungen für Einwirkungen aus Tsunami-, Temperatur-, Regen- und Vereisungsereignissen. Die Lastkarten basieren auf den digitalen Landkarten von Online-Kartendiensten wie Google Maps oder OpenStreetMap. Für die einzelnen Länder sind die jeweils dort gültigen Normen hinterlegt. Der Anwender erhält für eine beschränkte Anzahl von Anfragen kostenlosen Zugriff. Dann kann über ein Login der Zugriff auf alle Lastkarten freigeschaltet werden. Über eine Schnittstelle (Webservices) können auch fremde Webseiten Lastwerte für beliebige Orte automatisiert abfragen. So kann der Dienst auch in andere Applikationen eingebunden werden.

Weiter kann man im Internet Profiltabellen online nutzen. Musste man bisher in regelmäßigen Abständen Dokumente aktualisieren oder Profiltabellen in gedruckter Form besorgen, so kann man dies jetzt komfortabel immer aktuell im Internet abrufen. Dabei sind nicht nur Standardquerschnitte verfügbar, sondern auch Querschnittsformen, die über Abmessungen frei eingebbar sind. Der Online-Dienst kann also wesentlich mehr liefern als ein unveränderbares gedrucktes Tabellenbuch.

FEM-Programme und die damit berechneten Projekte sind mitunter so komplex, dass hierfür in einigen Fällen ein intensiver Kontakt mit dem Softwarehersteller notwendig ist. Auch hier zeichnet sich ein Trend zu mehr spontanen Online-Trainings und Support-Meetings ab. Wie im privaten Leben sind Supportmitarbeiter und Anwender zumindest für initiale einfache Fragestellungen direkt ansprechbar. Das geht heute über die gewöhnliche E-Mail-Anfrage weit hinaus und man bedient sich der Kommentarfunktionen in Social-Media-Kanälen wie Facebook oder Instagram zur Kontaktaufnahme. Einige Hersteller bieten auch Chatfunktionen auf den Webseiten an, die durch Anwendung von künstlicher Intelligenz automatisch nach möglichen Antworten auf die gestellten Fragen suchen. Buchte man früher eine Schulung, die mit Anreise zu einer mehrtägigen Angelegenheit wurde, so findet man heute die Möglichkeit zum "Self Training" im Youtube-Kanal in Form eines aufgezeichneten Webinars oder Kundenevents.

Die Webseiten zum Beispiel von Dlubal Software wurden zu einem umfassenden Statikportal ausgebaut. Neben einem traditionellen Forum gibt es zahlreiche häufig gestellte Fragen (FAQs), die auch außerhalb von Bürozeiten zur Lösung von Problemen beitragen. Fachwissen zu speziellen Themen wird durch technische Fachbeiträge bereitgestellt. Dabei sind alle Inhalte kostenlos und mittels textbasierter und verschlagworteter Suche im Internet auffindbar.


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