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12. September 2022

Verbesserung der Tragwerksplanung mit der Parametrischen FEM-Toolbox

Dieser Beitrag beschreibt die Entwicklung der Parametrischen FEM-Toolbox und einige der möglichen Arbeitsabläufe mit diesem neuen Tool.

1. Einführung

Seit den 90ern und auch bereits späten 80ern vollzieht sich in der Architektur ein Paradigmenwechsel, der von einem neuen gestalterischen Ansatz geprägt ist, bei dem variablen und anpassungsfähigen Formen der Vorzug gegenüber traditioneller einfacher Wiederholung starrer Formen gegeben wird.

Diese neuen Anforderungen und nicht umgekehrt haben zur Entwicklung algorithmischer generativer Modellierungsverfahren geführt, die diese Aufgabe effizienter erfüllen als explizite Modellierungsverfahren. Des Weiteren sind heuristische Bemessungsmethoden und Analysen immer enger miteinander verknüpft, um eine ergebnisorientierte Leistungsoptimierung einzubeziehen (Schumacher [6]).

Es gibt zwar bereits im Bemessungsprozess erfolgreich implementierte parametrische Tools für statische Berechnungen, wie das Plugin Karamba3D für Grasshopper (Preisinger [4]), diese bieten aber in der Regel kein solch belastbares Ergebnis wie kommerzielle FEM-Software und eine Reanalyse mit kommerzieller FEM-Software ist daher weiterhin notwendig.

Aus diesem Grund wurde vom Autor in Zusammenarbeit mit dem Planungsbüro Bollinger + Grohmann ein neues Grasshopper-Plugin entwickelt, um eine effektive parametrische Schnittstelle für die kommerzielle FEM-Software RFEM 5 zu generieren. Dieses Plugin heißt Parametrische FEM-Toolbox (Apellániz [1]).

2. Workflow

Das Starten einer neuen RFEM-Anwendung über die API ist möglich, jedoch ist die Toolbox so kompiliert, dass ein RFEM-Modell geöffnet sein muss, mit dem sie interagieren kann. In diesem Abschnitt werden die Workflows beschrieben, die mit der Toolbox möglich sind, je nachdem, ob die Daten von Grasshopper nach RFEM oder in umgekehrter Richtung übertragen werden, oder ob es sich um zusätzliche Funktionalitäten handelt.

2.1. Workflow von Grasshopper nach RFEM

Die meisten Komponenten der Toolbox beziehen sich auf ein bestimmtes RFEM-Objekt. Bild 3 zeigt, wie ein Stabobjekt in Grasshopper definiert und nach RFEM exportiert wird. Die meisten Objektkomponenten benötigen als Eingabe Grasshopper-Geometrieangaben und einige grundlegende Informationen wie in diesem Fall die Querschnittsnummer.

Über ein erweiterbares Menü können erweiterte optionale Eingabeparameter wie Stabtyp, Gelenke usw. angezeigt werden. Das Objekt wird in Grasshopper angelegt, sodass bei diesem Schritt keine Verbindung mit RFEM erforderlich ist. Seine Eigenschaften lassen sich in den Grasshopper-Panels darstellen und können auch in RFEM-Parametern internalisiert werden.

Um Daten nach RFEM zu exportieren, müssen diese Objekte in eine sogenannte "Set Data"-Komponente eingefügt und der Parameter "Run" auf "true" gesetzt werden. Die Verwendung einer expliziten Komponente für den Exportvorgang hat den Vorteil, dass dieser relativ rechenintensive Prozess des Exports der Objekte nach RFEM in einem einzigen Schritt zusammengefasst wird.

Der Output der "Set Data"-Komponente umfasst die gleichen Objekte, jedoch mit zusätzlichen Informationen zum Index, der ihnen automatisch von RFEM zugewiesen wurde, was sehr nützlich sein kann, um diese Objekte in späteren Schritten zu modifizieren, um Lasten aufzubringen usw.

2.2. Workflow von RFEM nach Grasshopper

In ähnlicher Weise können Daten aus RFEM über die sogenannte "Get Data"-Komponente in Grasshopper importiert werden, indem einfach festgelegt wird, welche Arten von Objekten importiert werden sollen. Für den Fall, dass nicht alle vorhandenen Objekte eines bestimmten Typs importiert werden sollen, kann der Anwender über Filterkomponenten mit mehreren verfügbaren Parametern genau die zu importierenden Objekte festlegen und so die erforderliche Ausführungszeit verkürzen.

Die importierten Objekte können mit den gleichen Objektkomponenten analysiert werden, jedoch nur im sogenannten "disassemble"-Modus, d. h. anstatt ein RFEM-Objekt aus bestimmten Eingabeparametern zu erzeugen, werden die Objekteigenschaften aus einem bestimmten Eingabeobjekt bezogen. Es ist auch möglich, RFEM-Objekte direkt in Grasshopper-Geometriedaten umzuwandeln, indem sie in sogenannte Grasshopper-Container verteilt werden. Dieser Workflow wird in den Abschnitten 3.3 und 3.5 näher erörtert.

Über die Komponenten "Berechnungsergebnisse" und "Querschnitte optimieren" können auch Berechnungsergebnisse aus RFEM in Grasshopper eingelesen werden. Dies könnte interessant sein, um die Visualisierungsmöglichkeiten von Rhino zu nutzen, um diese Ergebnisse darzustellen und auch um mögliche strukturelle Optimierungen mit einem der in Grasshopper verfügbaren evolutionären Solvern (Rutten [5]) durchzuführen, indem die Ergebnisse als Fitnessfunktion und die ursprünglichen Eingabeparameter als Gene verwendet werden.

Alle Objektkomponenten verfügen über ein Ändern-Menü, das es ermöglicht, die Eigenschaften von RFEM-Objekten innerhalb dieser Optimierungsschleife zu ändern. Obwohl dieser Optimierungsworkflow rechenintensiver ist als ähnliche Ansätze mit FEM-Solvern, die in Grasshopper-Plugins wie Karamba3D kompiliert sind, welche keinen Export und Import von Daten aus externen Anwendungen erfordern, könnte er dennoch interessant sein, wenn erweiterte Berechnungsoptionen und codebasierte Kontrollen notwendig sind.

2.3. Zusatzfunktionalitäten

Derzeit gibt es eine Reihe von Funktionalitäten der Toolbox, die über diese objektbasierte Logik hinaus zusätzliche Funktionen bieten:

  • Stäbe extrudieren: Mithilfe eines einzigen Bauteils ist es möglich, in Grasshopper die 3D-Formen von Stabobjekten zu erhalten, wie in Bild 4 und Bild 9 gezeigt wird. Die Ausgabe der Geometrie in Form von NURBS- und Mesh-Elementen ist möglich.
  • Eingabe für Lebenszyklusanalyse: Mithilfe eines einzigen Bauteils ist es möglich, die Massen- und Geometrieangaben aller RFEM-Objekte nach zugewiesenen Materialien aufzugliedern, was als Eingabe für die Durchführung einer Lebenszyklusanalyse anhand eines RFEM-Modells wie in Abschnitt 3.5 beschrieben verwendet werden kann.

3. Projekte

3.1. Tondo-Brücke

Die Fußgängerbrücke in Brüssel (siehe oben) ist eine Stahlkonstruktion, die aus miteinander verbundenen Stahlplatten besteht. Der Modellierungsprozess dieser komplexen Geometrie fand nicht im eigentlichen Berechnungsprogramm RFEM statt, sondern in Rhinoceros aufgrund der leistungsfähigeren Tools letzterer Modellierungssoftware u. a. hinsichtlich der Definition gekrümmter Linien und der Überschneidung von Flächenelementen.

Um zu vermeiden, dass Begrenzungslinien aneinander grenzender Flächen dupliziert werden, wurde die Modellgeometrie in Grasshopper auch dahingehend untersucht, dass diese Begrenzungslinien exakt die gleichen bestimmenden Kontrollpunkte aufweisen.

Obwohl es in RFEM Standardfunktionalitäten für den Import von Geometriedateien aus einem Rhino-Modell gibt, ermöglicht die Toolbox nicht nur Geometrieelemente sondern auch tatsächliche Strukturelemente mit mechanischen Eigenschaften und sogar angefügten Lasten zu importieren.

3.2. My-Co Space Pavillon

Das Tragwerk dieses Forschungsprojekts ist eine Gitterschale aus Sperrholz. Die Definition des Berechnungsmodells dieser Freiformstruktur erfolgte in Grasshopper, was mehrere Vorteile bot und dazu führte, dass der Modellierungsprozess drastisch vorangetrieben wurde:

  • Im Gegensatz zu den Flächen- und Volumenelementen des Architekturmodells erfordert die Berechnung einer Gitterschale, dass die Bauteile als linienförmige Elemente definiert sind. Die Aufgabe zur Umwandlung der Elemente wurde in Grasshopper automatisch mit einem parametrischen Algorithmus gelöst, sodass die Eingabegeometrie für das RFEM-Modell bereits in Grasshopper festgelegt war.
  • Dadurch konnten die importierten Geometriedaten analysiert und vorverarbeitet werden. Auch die Orientierung der Stäbe wurde im Grasshopper-Algorithmus automatisch festgelegt.
  • Auch die Definition der Windlasten wurde in Grasshopper vorgenommen, um die Lastsektoren und sogar die Lastwerte automatisch festzulegen. Die Toolbox berücksichtigt auch die zukünftige Ausrichtung der lokalen Stabachse der Stabelemente in RFEM, sodass die Lastwerte je nach richtiger Ausrichtung entweder mit einem positiven oder negativen Wert definiert werden (beachte die aufgebrachten Lasten in unterschiedlichen blauen und violetten Farben in Bild 8).
  • Auch die Ausrichtung der Knotenlager wurde in Grasshopper automatisch festgelegt, sodass die Reaktionskräfte entlang der richtigen Achse für die Bemessung der Fußplattenverbindungen verwendet werden konnten.
3.3. Hauptsitz von ArcelorMittal

Das Tragwerk des Hauptsitzes von ArcelorMittal besteht größtenteils aus architektonisch exponiertem Baustahl. Bei diesem Projekt wurde die Toolbox ebenfalls für den Export der Daten von RFEM nach Grasshopper eingesetzt (siehe Abschnitt 2.2), um die Berechnungsergebnisse einer so großen Struktur analysieren und filtern und nicht nur die Berechnungsergebnisse sondern auch die extrudierten Stahlstäbe angemessen visualisieren zu können, um die Verbindungselemente bemessen und auch eine Rendervisualisierung für das Berechnungsprotokoll erstellen zu können (siehe Abschnitt 2.3).

3.4. Erweiterung der Red Bull Arena in Leipzig

Die Erweiterung der Red Bull Arena in Leipzig gestaltete sich ziemlich aufwendig, da die neuen Bauteile unter Berücksichtigung der bestehenden Struktur geplant werden mussten (siehe Bild 6). Das Fundament des Neubaus wurde daher in Form von Kleinbohrpfählen ausgeführt, fast alle mit unterschiedlichen Neigungen, um die bestehenden Gründungselemente und Tunnel nicht zu beeinträchtigen.

Die Mikropfähle wurden in einem Rhino-Modell, das auch die bestehende Struktur beinhaltete, definiert und dann mit der Toolbox in RFEM importiert. Die Toolbox ermöglicht die benutzerdefinierte Ausrichtung von Knotenlagern mittels einer Grasshopper-Ebene, was wohl wesentlich benutzerfreundlicher ist als der Standard-Workflow, bei dem sie über die Ausrichtungswinkel definiert werden.

3.5. Multimodale Optimierungen

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass dieses Grasshopper-Plugin mit anderen bestehenden Grasshopper-Plugins kombiniert werden kann, um multimodale Bemessungen und Optimierungen vorzunehmen. Bild 11 zeigt eine multimodale Optimierung hinsichtlich Statik und Treibhausgasemissionen für ein Tragwerk eines Bürogebäudes in Berlin, indem man die Parametrische FEM-Toolbox mit der Grasshopper-Integration von One Click LCA (Apellániz, Pasanen und Gengnagel [2]) kombiniert hat.

4. Fazit

Im Bemessungsprozess wurden Tools zur Statikanalyse als Berechnungswerkzeuge in Form von Grasshopper-Plugins bereits erfolgreich in eine visuelle Programmierumgebung implementiert. Die Parametrische FEM-Toolbox stellt Grasshopper zwar keinen Finite-Elemente-Solver zur Verfügung, dafür stellt sie aber eine Verbindung zum Finite-Elemente-Programm RFEM her, in dem die Tragwerksberechnung durchgeführt wird.

Obwohl dieser Ansatz rechenintensiver ist, erlaubt er die Nutzung der umfangreichen Möglichkeiten einer leistungsfähigen, kommerziellen Finite-Elemente-Software. Darüber hinaus profitieren technische Peer-Review-Prozesse vom Einsatz etablierter und weit verbreiteter Analysesoftware. Dem Autor ist bisher kein anderes Plugin für Grasshopper bekannt, das die API eines Finite-Elemente-Programms in dem Maße implementiert, wie es in diesem Beitrag vorgestellte wurde.

Die Parametrische FEM-Toolbox hat seit ihrer Veröffentlichung bewiesen, dass sie in der Lage ist, den Design-Prozess zahlreicher Projekte zu verbessern. Nicht nur solcher die durch algorithmisch generierte Geometriedaten gekennzeichnet sind (Preisinger et al [3]), sondern sie wurde auch in einer Vielzahl von Projekten eingeführt, die aus nicht standardmäßigen Tragwerkssystemen bestehen.

Seit der Veröffentlichung fließen die Rückmeldungen der Anwender stark in die Weiterentwicklung dieses Tools ein. Darüber hinaus nahm auch Dlubal, der Softwarehersteller von RFEM, Kontakt auf, um Feedback für die Entwicklung der zukünftigen API-Versionen von RFEM einzuholen. Dieser Koordinationsaufwand zwischen Softwarehersteller und Drittentwicklern ist grundlegend, um eine stabile Entwicklung zu gewährleisten und den Anwendern ein zuverlässiges und robustes Designwerkzeug zur Verfügung zu stellen.

Autor: Diego APELLÁNIZ

B+G Ingenieure Bollinger und Grohmann GmbH;
Alt-Moabit 103, 10559 Berlin;
[email protected]


Referenzen
  1. Apellániz, D. & Vierlinger, R.: (2022) ausreichend sind. Verbesserung der Tragwerksplanung mit einer parametrischen FEM-Toolbox. Steel Construction, 15 (3), 188–195. https://doi.org/10.1002/stco.202200004
  2. Apellániz, D.; Pasanen, P.; Gengnagel, C.: (2021) ausreichend sind. Ein ganzheitlicher und parametrischer Ansatz für Lebenszyklusanalysen in frühen Planungsphasen. Im 12thAnnual Symposium on Simulation for Architecture and Urban Design (SimAUD).
  3. Preisinger, C., Heimrath, M., Orlinski, A., Hofmann, A., & Bollinger, K. (2019). Moderne Parametrik in der Tragwerksplanung – Werkbericht. Stahlbau, 88(3), 184–193. https://doi.org/10.1002/stab.201910073
  4. Preisinger, C.: (2013) angewendet. Verknüpfung von Struktur und parametrischer Geometrie. Architectural Design, 83 (2), 110–113. https://doi.org/10.1002/ad.1564
  5. Rutten, D.: (2013) angewendet. Galapagos: Zur Logik und den Grenzen generischer Solver. Architectural Design, 83 (2), 132–135. https://doi.org/10.1002/ad.1568
  6. Shvartzberg, M. & Poole, M.: (2015) ausreichend sind. Die Politik des Parametrismus: Digitale Technologien in der Architektur. Zeng-Veröffentlichung, 2007