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20. Januar 2023

Denkmalschutz – Brauchen wir das wirklich?

Die einen verbinden es mit historischen, wunderschönen Bauwerken. Andere dagegen sehen vor ihren Augen eher verfallene Ruinen am Straßenrand und zahlreiche überflüssige Vorschriften, wenn man ein solches Gebäude wieder instand setzen möchte. Ist Denkmalschutz nun Fluch oder Segen? Annette Liebeskind ist Expertin für Denkmalschutz und heute unser Gast. Wir haben viele Fragen und freuen uns auf einen spannenden Austausch!

Aus Liebe zur Geschichte

Annette ist Architektin und Denkmalpflegerin. Vor ihrem Architekturstudium hat sie eine Ausbildung als Kunstglaserin abgeschlossen, kennt daher die handwerkliche und auch die theoretische Seite des Bauens. Zusammen mit ihrem Mann baut sie gerne immer mal wieder an ihrem eigenen Fachwerkhaus. Denn gerade die Arbeit an und mit alten Gebäuden macht ihr Spaß. Dabei hat sie den Fokus vor allem darauf, mit nachhaltigen Baustoffen wie Lehm und Holz zu arbeiten.

Heute leitet sie die Abteilung für Denkmalförderung bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz – eine unabhängige, private und gemeinnützige Stiftung.

Was tut der Denkmalschutz?

Den Denkmalschutz beschreibt Annette als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, unsere Baukultur am Leben zu erhalten. Bei Bauwerken, die unter Denkmalschutz stehen, handelt es sich um Konstruktionen mit Charakter und einer eigenen Geschichte. Sie zeigen uns, wie Menschen früher gebaut und gelebt haben, machen die Vergangenheit dadurch für uns greifbarer.

Was auch wichtig ist: Nicht jedes alte Gebäude kann zu einem Denkmal werden. Nur drei bis vier Prozent des Gebäude-Bestands in Deutschland stehen unter Denkmalschutz. Ein Anwärter muss ein gewisses Alleinstellungsmerkmal haben: Letztes seiner Art, Prototyp, besonders typisch für einen Trend oder eine klassische Bauweise einer bestimmten Region. Experten für den Denkmalschutz erstellen teils komplexe Gutachten nach verschiedenen Kriterien.

Nicht nur Gebäude können unter Denkmalschutz stehen. Auch Schiffe oder Flugzeuge erfüllen die Voraussetzungen. Ein Bauwerk hat demnach die Möglichkeit, unter Denkmalschutz gestellt zu werden, wenn es folgende Kriterien abdeckt:

  • Städtebaulich interessant
  • Geschichtlich, kunsthistorisch oder bauhistorisch relevant
  • Besonderer Wissens- und Wertespeicher
  • Historische Bautechniken
  • Historische Baumaterialien

Die Stiftung Denkmalschutz unterstützt mit Spendengeldern Menschen, die ein Denkmal erworben haben, um es instand zu setzen. Auch öffentliche Denkmale werden mithilfe solcher Gelder wieder instandgesetzt bzw. erhalten. Außerdem organisiert die Stiftung Schulprojekte und ähnliche Maßnahmen, um das Bewusstsein für Denkmalschutz präsenter zu gestalten.

Schandfleck Denkmalruine am Straßenrand

Der Denkmalschutz hat in Deutschland nicht immer den besten Ruf. Alte Gebäude stehen seit Jahrzehnten leer am Straßenrand und verfallen nach und nach. Das sieht nicht nur unschön aus, der Bauplatz könnte auch auf andere Weise genutzt werden. Der Denkmalschutz hat hier oft seine Hände im Spiel und stellt sich schützend davor, wenn das Thema Abriss aufkommt.

Annette erklärt uns, dass Gebäude nicht grundlos unter Denkmalschutz gestellt werden. Auch, wenn es für den Laien von der anderen Straßenseite vielleicht so aussieht. Vernachlässigte Gebäude zeigen oftmals ihren Denkmal-Wert nicht oder nicht mehr nach außen. Manchmal versteckt sich unter alten Fliesen-Fassaden eine wertvolle Wand aus dem Mittelalter, es sind im Inneren noch hohe, verzierte Decken zu erkennen oder alte Wandgemälde.

Sie erzählt weiterhin, dass viele Besitzer solcher Denkmale diese leider bewusst verfallen lassen. Eine wesentliche Regel im Denkmalschutz ist nämlich die Wirtschaftlichkeit einer Instandsetzung. Ist das Gebäude so weit verfallen, dass eine Sanierung auch mit Unterstützung von Spendengeldern nicht mehr wirtschaftlich wäre, wird der Denkmalschutz aufgehoben. Darauf hoffen die Besitzer und lassen die Bauwerke anschließend schnellstmöglich abreißen, um dort einen Neubau zu planen.

Einen besonders schlechten Ruf hat der Denkmalschutz in historischen Innenstädten. Anstatt eines zwei- oder dreigeschossigen Denkmals würde manch ein Investor lieber einen modernen Fünf- oder Sechsgeschosser an dieser Stelle sehen: Mehr Platz heißt mehr Rendite. Aber ist es das am Ende wert, wenn wir dadurch wertvolles Kulturgut verlieren?

Nachhaltige Sanierung unter Denkmalschutz

Altbauten und Bestandsgebäude sollten gerade in Hinblick auf Nachhaltigkeit saniert und weiterhin genutzt werden. Abriss und Neubau sind nicht nur zeit- und ressourcenaufwendig, sondern verschlingen Unmengen an Energie. Nachhaltig ist das absolut nicht. Annette gibt hier zu bedenken, dass die Bauindustrie einer der größten Abfallproduzenten Deutschlands ist, da selten etwas wirklich wiederverwendet wird, gerade, was historische Baumaterialien betrifft.

  • Wenn man sieht, dass über 50 Prozent des Abfalls in Deutschland aus der Bauwirtschaft stammen, gibt einem das schon zu denken.

Das Konzept des Denkmalschutzes, erst einmal nachzudenken, wie man ein Gebäude erhalten kann, macht da natürlich wesentlich mehr Sinn, als es einfach abzureißen. Es gibt viele Möglichkeiten und Wege, Bauteile zu erhalten bzw. wiederzuverwenden und neu zu nutzen. Gerade unter dem Nachhaltigkeitsaspekt lohnt es sich immer, zu überlegen, was man von einem vorhandenen Gebäude noch weiterhin nutzen kann – ob Denkmal oder nicht.

Bei der Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden ist für Annette vor allem der Erhalt der Ästhetik sehr wichtig. Setzt man in ein altes Fachwerkhaus statt geteilter Sprossenfenster ungeteilte Fenster aus Kunststoff oder Aluminium ein, büßt das Haus viel an Optik ein. Solche Fenster passen einfach nicht zum Rest der Fassade. Hier sollte man eine gute Balance zwischen Modernisierung und Werterhaltung finden. Für jedes Gebäude entscheidet der Denkmalschutz daher individuell, welche Veränderungen vorgenommen werden dürfen und sollten, damit die historische Bausubstanz, das, was dieses Gebäude zu einem Denkmal macht, erhalten bleibt.

Ein denkmalgeschütztes Bauwerk zu modernisieren und zu sanieren kostet Geld, keine Frage. Da Experten, was diese historischen Baustoffe angeht, mittlerweile leider selten sind, ist ein solches Vorhaben natürlich sehr preisintensiv. Um es Menschen, die diesen Schritt trotzdem wagen möchten, zu erleichtern, schaltet sich die Stiftung Denkmalschutz unterstützend ein.

Zukunft des Denkmalschutzes

Viele Baustile, die unter Denkmalschutz stehen, sind eine Art Modeerscheinung. Was wir heute am liebsten abreißen würden, wissen wir in zehn Jahren vielleicht wieder zu schätzen. Der Historismus war beispielsweise in den 60er Jahren sehr unbeliebt. Hier wurde auf Baustile der Vergangenheit zurückgegriffen und es entstanden ganze Viertel mit Stuckfassaden und anderen Referenzen an bauliche Vergangenheit. Heutzutage leben Menschen sehr gerne in solchen Gebäuden. Ein Glück also, dass sie damals nicht abgerissen wurden.

Wir fragen Annette, ob sie davon ausgeht, dass der Erhalt von Bestandsbauten – gerade Denkmälern – richtungsweisend ist, damit wir künftig unserer Verantwortung zur Nachhaltigkeit nachkommen können. Dem stimmt sie voll und ganz zu.

  • „Das ist sicherlich noch eine Aufgabe für die Zukunft: Bauen im Bestand, mit dem Bestand und Weiterentwicklung des Bestands.“

Sie würde sich wirklich sehr wünschen, dass sich unsere Gesellschaft den Denkmalschutz zum Vorbild nimmt. Gerade, was die Kreislaufwirtschaft angeht. Es sollte gründlich darüber nachgedacht werden, ob man ein Bestandsgebäude wirklich abreißen muss. Klimaschutz muss auch im Bauwesen mehr ernstgenommen werden – ein wichtiges Statement.

Annette, was ist dein Lieblingsbauwerk?

Wie bei jedem unserer Gäste fragen wir auch Annette zum Schluss, was ihr Lieblingsbauwerk ist. Sie nennt uns unter anderem das Diözesanmuseum Kolumba in Köln, aufgebaut auf den Ruinen der im Zweiten Weltkrieg zerstörten gotischen Kirche St. Kolumba. Hier sieht sie eine wundervolle Nutzung und Erweiterung des historischen Restbestands.

Des Weiteren spricht sie von der Bruder-Klaus-Feldkapelle. Eine großartige Verbindung der Landschaft mit Architektur – da können wir ihr nur zustimmen. Vielen Dank, dass du bei uns zu Gast warst!


Autor

Frau Ruthe ist im Marketing als Copywriterin zuständig für die Erstellung kreativer Texte und packender Headlines.



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