Die Statikprogramme RFEM 6 und RSTAB 9 bieten leistungsfähige Möglichkeiten zur Simulation der Wärmedehnung von Bauteilen unter Temperaturbelastung. Mit diesen Programmen können Sie die Auswirkungen von Temperaturschwankungen, die das Verhalten von Materialien und Strukturen erheblich beeinflussen können, genau berücksichtigen. Durch die Simulation sowohl gleichmäßiger als auch ungleichmäßiger Temperaturänderungen ermöglichen RFEM 6 und RSTAB 9 eine umfassende Analyse der Art und Weise, wie sich thermische Ausdehnung oder Kontraktion auf die strukturelle Leistung auswirken können.
In diesem Beitrag wird der theoretische Hintergrund der thermischen Effekte untersucht - mit besonderem Schwerpunkt auf Membran- und Biegeeffekten - und gezeigt, wie diese thermischen Effekte in RFEM 6 modelliert und angewandt werden können. Anhand praxisrelevanter Beispiele wird gezeigt, wie diese temperaturbedingten Verformungen effektiv in der Software erfasst werden können, was wertvolle Erkenntnisse für die Berechnung und Bemessung von Strukturen liefert, die unterschiedlichen Temperaturen ausgesetzt sind.
1. Membraneffekt (gleichmäßige Temperaturänderung)
Eine gleichmäßige Temperaturänderung über die Höhe eines Bauteils bewirkt den so genannten Membraneffekt. Dieser tritt auf, wenn das gesamte Bauteil über seine Länge der gleichen Temperaturänderung ausgesetzt ist, ohne einen Gradienten in senkrechter Richtung. Bei einer gleichmäßigen Temperaturänderung erfährt das Bauteil eine thermische Ausdehnung oder Kontraktion ohne Biegeverformung.
Der Membraneffekt ist durch eine gleichmäßige Dehnung entlang der Stabachse gekennzeichnet, wodurch sich eine rein axiale Verformung ergibt (Bild 1). Bei steigender Temperatur dehnt sich das Material entlang der Achse aus, bei sinkender Temperatur zieht es sich zusammen. Wichtig ist, dass dieser Effekt keine inneren Momente oder Biegespannungen erzeugt, wohl aber Normalkräfte innerhalb des Stabes, wenn die lineare Ausdehnung des Stabes eingeschränkt ist, wie z.B. bei einem statisch unbestimmten System.
2. Biegeeffekt (ungleichmäßige Temperaturänderung)
Im Gegensatz zum Membraneffekt führt eine ungleichmäßige Temperaturverteilung über die Höhe oder Dicke des Bauteils zu einer Biegeverformung (Bild 2). Dies geschieht, wenn die Temperatur über den Querschnitt des Bauteils variiert und ein Temperaturgradient entsteht.
Wenn ein Bauteil einem Temperaturgradienten ausgesetzt ist, dehnt sich das Material an verschiedenen Stellen entlang seiner Höhe oder Dicke unterschiedlich aus. Diese unterschiedliche Ausdehnung verursacht innere Momente und Biegespannungen, die nur in einem statisch unbestimmten System auftreten, in dem die Ausdehnung eingeschränkt ist. Das Bauteil wird versuchen, sich als Reaktion auf die unterschiedlichen Temperaturen an verschiedenen Abschnitten des Elements zu biegen, wobei sich der obere Teil des Abschnitts stärker ausdehnt als der untere Teil bzw. umgekehrt. Daher kann der Biegeeffekt als die Biegung des Bauelements aufgrund des Wärmegradienten verstanden werden.
3. Kombinierter Effekt: Membran und Biegung
In der Praxis sind Bauteile häufig sowohl gleichmäßigen Temperaturänderungen (Membraneffekt) als auch Temperaturgradienten (Biegeeffekt) ausgesetzt. Die gesamte Wärmedehnung im Bauteil kann also als Kombination dieser beiden Effekte beschrieben werden:
- Der Membraneffekt bewirkt eine axiale Verformung (Zug oder Druck) aufgrund der gleichmäßigen Temperaturänderung entlang der Stabachse.
- Der Biegeeffekt führt zu einer Biegeverformung durch den Temperaturgradienten über die Höhe oder Dicke des Bauteils.
Dieser kombinierte Effekt führt zu einer ungleichmäßigen Verformung (Bild 3), da sowohl Normalkräfte als auch Biegemomente im Bauteil erzeugt werden, was bei statisch unbestimmtem System und eingeschränkter Ausdehnung auftritt.
Simulation von Wärmedehnungen in RFEM 6
In RFEM 6 können sowohl Membran- als auch Biegeeffekte simuliert werden, indem zwei Arten von Temperaturlasten aufgebracht werden: "Temperatur" und "Temperaturänderung". Diese können bequem über das Fenster "Neue Stablast" definiert werden, wo der entsprechende Lasttyp aus dem Dropdown-Menü "Lastart" ausgewählt werden kann (Bilder 4 und 5).
1. Lastart "Temperatur"
Mit der Last "Temperatur" in RFEM 6 kann die obere Temperatur (Tt) und die untere Temperatur (Tb) des Stabes angegeben werden. Die Temperaturverteilung kann so aussehen:
- Gleichmäßig: Wenn Tt=Tb ist, d.h. der Stab erfährt eine gleichmäßige Temperaturänderung, was zu Membraneffekten führt (keine Biegung).
- Ungleichmäßig: Wenn Tt≠Tb ist, entsteht ein Temperaturgradient über dem Bauteil, der sowohl zu Membran- als auch zu Biegeeffekten führt.
2. Lastart "Temperaturänderung"
Mit der Last "Temperaturänderung" kann eine Mittellinientemperatur (Tc) definiert und die Temperaturdifferenz ΔT zwischen der Ober- und Unterseite des Stabes direkt angegeben werden. Eine positive Mittellinientemperatur bedeutet, dass sich der Stab erwärmt, eine positive Temperaturdifferenz bedeutet, dass sich die Oberseite des Stabes stärker erwärmt als die Unterseite, was zu einer Biegung führt.
Praxisbeispiele
Um die Auswirkungen von Temperaturlasten besser zu verstehen, wollen wir verschiedene Szenarien untersuchen, bei denen derselbe Kragträger unterschiedlichen Temperaturbedingungen ausgesetzt ist. Es wird jeweils betrachtet, wie die verschiedenen Temperaturverläufe in RFEM 6 mit den Lastarten "Temperatur" und "Temperaturänderung" simuliert werden können. Beide Lastarten können die gleichen Temperatureinflüsse darstellen; der einzige Unterschied liegt in der Definition der Eingabe. Es wird aufgezeigt, wie sich diese Variationen auf das Verhalten des Trägers auswirken, insbesondere auf die Biegung und Verformung.
1. Szenario: Beheizter Fußboden in einem Gebäude
In diesem Szenario trägt ein Kragträger einen Teil des Fußbodens in einem Gebäude, der durch die Aktivierung einer Fußbodenheizung einem gleichmäßigen Temperaturanstieg von 10 °C ausgesetzt ist. Das Heizsystem erhöht die Temperatur des gesamten Trägers gleichmäßig über seine Länge, so dass sich der Träger gleichmäßig erwärmt.
Wie man das in RFEM 6 umsetzt:
Dieses Szenario kann in RFEM 6 mit der Lastart "Temperaturänderung" simuliert werden, wobei die Temperatur der Mittellinie (Tc) auf 10 °C gesetzt wird, was die gleichmäßige Erwärmung des Trägers darstellt (Bild 6). Die Temperaturdifferenz (ΔT) zwischen der Ober- und Unterseite des Trägers wäre null, da der Temperaturanstieg über die Länge des Trägers gleichmäßig ist.
Alternativ kann die gleiche Simulation mit der Lastart "Temperatur" durchgeführt werden, bei der sowohl die obere Temperatur (Tt) als auch die untere Temperatur (Tb) auf 10 °C gesetzt werden (Bild 7). In beiden Fällen führt dies zu einer gleichmäßigen Ausdehnung des Trägers, ohne dass es zu einer Biegung kommt, da der gesamte Träger die gleiche Wärmedehnung erfährt (Bild 8).
2. Szenario: Träger, der einer Wärmequelle ausgesetzt ist
Ein Kragträger befindet sich in einer industriellen Umgebung, in der er von einer Seite her Wärme ausgesetzt ist. Beispielsweise kann der Träger während eines Fertigungsprozesses auf einer Seite höheren Temperaturen (z.B. 30 °C) ausgesetzt sein, während die gegenüberliegende Seite des Trägers eine niedrigere Temperatur (z.B. 20 °C) aufweist oder von der Hitze abgeschirmt ist.
Wie man das in RFEM 6 umsetzt:
Dies kann mit der Lastart "Temperatur" mit Tt ≠ Tb (Bild 9) simuliert werden, wobei die obere Temperatur (Tt) aufgrund der Wärmequelle höher eingestellt wird (30 °C) und die untere Temperatur (Tb) niedriger bleibt (20 °C). Der Temperaturunterschied zwischen der Ober- und der Unterseite des Trägers erzeugt einen Wärmegradienten, der dazu führt, dass sich der Träger ausdehnt und biegt (Bild 10).
3. Szenario: Träger, der ungleichmäßiger Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist
Ein Kragträger befindet sich in einer Außenumgebung, in der eine Fläche dem Sonnenlicht ausgesetzt ist, während die gegenüberliegende Fläche im Schatten liegt. Infolgedessen erwärmt sich eine Fläche des Balkens auf 5 °C, während die andere bei -5 °C bleibt. In diesem Fall beträgt die Mittellinientemperatur 0 °C, aber es besteht ein Temperaturgradient über den Träger, wobei eine Fläche eine höhere Temperatur aufweist als die andere. Das Hauptaugenmerk in diesem Szenario liegt auf der Erfassung der Biegung, die durch den Temperaturgradienten verursacht wird, der durch den Temperaturunterschied (ΔT) zwischen der Ober- und der Unterseite des Trägers entsteht und zur Biegung infolge der unterschiedlichen Ausdehnung führt.
Wie man das in RFEM 6 umsetzt:
Dieses Szenario kann in RFEM 6 mit der Lastart "Temperaturänderung" (Bild 11) simuliert werden, wobei die Temperaturdifferenz (ΔT) zwischen der Ober- und Unterseite des Trägers angegeben wird (ΔT=10 °C). Die Mittellinientemperatur (Tc) wird auf 0 °C gesetzt, aber die Temperaturdifferenz (ΔT) ist ungleich Null, was den Wärmegradienten darstellt, der die Biegung des Trägers verursacht.Es ist zu beachten, dass die Lastart "Temperaturänderung" verwendet wird und es nicht notwendig ist, spezifische Temperaturen für die Ober- (Tt) und Unterseite (Tb) zu definieren, da der Schwerpunkt auf der Biegung liegt, die durch den von ΔT erzeugten Temperaturgradienten verursacht wird.
Abschließende Worte
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass RFEM 6 einen flexiblen Ansatz zur Modellierung thermischer Effekte auf Bauteile bietet, da sowohl Membran- als auch Biegeeffekte mit den Lastarten "Temperatur" und "Temperaturänderung" simuliert werden können. Diese Lastarten ermöglichen eine genaue Simulation der Temperaturverläufe entlang der Länge und Höhe eines Stabes und gewährleisten so eine gründliche Analyse der Wärmedehnungen.
Mit dem Wissen um die effektive Anwendung dieser Lastarten können Ingenieure das Verhalten von Bauteilen unter thermischen Lasten vorhersagen, was zu genaueren Analysen und optimierten Bemessungen führt. Ob bei gleichmäßiger Erwärmung, örtlich begrenzter Temperatureinwirkung oder wechselnden Bedingungen, RFEM 6 bietet Ihnen die notwendigen Tools, um temperaturbedingte Effekte in Ihren Strukturen handhaben zu können.