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25. Mai 2022

Wie können wir dem Klimawandel vorbeugen?

Das Bauwesen ist der Klimakiller schlechthin. Alleine die Zementindustrie verursacht vier mal mehr CO2 als der Flugverkehr. Es muss gehandelt werden, damit wir einen positiven Fußabdruck schaffen. Welche Maßnahmen gibt es schon? Gibt es noch Hoffnung für den Klimawandel?

Wir wissen alle, wie schlimm es um unser Klima steht. Die Erderwärmung soll nicht weiter vorangetrieben werden. Ziel des Pariser Abkommens ist eine Erwärmung von 1,5 bis 2 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 nicht zu überschreiten.

Bis zum Jahr 2050 muss Deutschland klimaneutral sein, damit das Ziel für 2100 eingehalten werden kann. Dafür brauchen wir überall weitreichende Maßnahmen und Veränderungen.

Wie klimaschädlich ist das Bauwesen?

Die Zahlen zeigen schockierende Werte. Etwa 40 Prozent der Energie werden dafür verwendet. Dazu zählt die Errichtung von Gebäuden, aber auch die Nutzung. Die Hälfte der Ressourcen und circa 60 Prozent des Mülls können der Baubranche angerechnet werden.

In Deutschland werden jedes Jahr ungefähr 100.000 Einfamilienhäuser und 10.000 Nichtwohngebäude fertiggestellt. Der Anteil der Sanierungen liegt aber nur bei etwa 1 bis 1,5 Prozent. Um die Klimaziele zu erreichen, müsste der Bausektor die Emissionen in den nächsten 20 Jahren auf null bringen.

Welche Ansätze gibt es dafür? Welche Maßnahmen sollten getroffen werden?

Ein spannender Ansatz ist cradle-to-cradle – “von der Wiege zur Wiege". Das Ziel ist es, nach dem Vorbild der Natur einen intakten Kreislauf zu kreieren. Produkte und Materialien sollen immer wieder verwendet werden, damit kein Abfall entsteht.

Der Mensch hat allerdings nur einen linearen Ansatz. Er lautet Take – Make – Dispose, also Nehmen – Machen – Entsorgen. Das könnte auch cradle-to-grave heißen, also vom Ursprung bis ins Grab. Ist ein Produkt kaputt, werfen wir es in den Müll. Teilweise entstehen dabei sogar giftige Stoffe, zum Beispiel bei Elektrogeräten.

Die Frage dabei ist, warum wir nicht auch eine circular economy haben, so wie es uns die Natur vorzeigt. Unser produzierter Müll ist ein wertvoller Rohstoff am falschen Ort. Das Problem dabei ist aber, dass wir erst zu denken beginnen, wenn der Abfall schon da ist. Das ist auch schlecht für die Ökobilanz.

In diesem Zusammenhang kommt der Begriff cradle-to-cradle ins Spiel. Der Grundsatz dabei ist, einen positiven ökologischen Fußabdruck zu erreichen. Es gibt zwei Kreisläufe, die ineinandergreifen. Zum einen existiert der biologische Kreislauf. Dazu zählt alles, was in die Umwelt gelangt. Bei einem biologischen T-Shirt, zum Beispiel, werden die abgeriebenen Textilien wieder in den Kreislauf eingeführt.

Zum anderen gibt es den technischen Kreislauf. Der Artikel wird überprüft und dann als neue Ressource wiederverwendet. Es sind Gebrauchsmaterialien, die nicht direkt in die Biosphäre gelangen und sich nicht direkt abnutzen. Der Gedanke von C2C ist, diese beiden Kreisläufe zu verbinden. Nachdem die Materialien in einem Produkt benutzt wurden, sollen sie sich in einem anderen Material wieder nützlich machen.

Dieses Prinzip soll auch in der Baubranche angewendet werden. Das bedeutet, Low-Tech zu bauen, aber Hightech zu planen. Die Planer greifen soweit es geht auf natürliche Ressourcen ohne lange Transportwege zurück und versuchen, erneuerbare Energien zu benutzen.

C2C ist aber nicht nur eine technische Lösung, sondern eher eine Lebensart. Gebäude sollen für Menschen gebaut werden und nicht nur für die Energiebilanz. Diese beiden Punkte werden als integrale Planung zusammengeführt. Neben der Ökologie werden die Energie, Ökonomie, Soziokulturelles, Behaglichkeit, Funktionalität, Design, Technik und der Prozess an sich berücksichtigt.

Theoretisch sind also die Möglichkeiten da. Oft fehlen jedoch die Investitionen.

Welche Pilotprojekte gibt es schon?

Beim C2C Prinzip sollen Baumaterialien eingesetzt werden, die emissionsarm sind, aber auch keine Schadstoffe enthalten. Durch gesündere Produkte verbessert sich die Lebensqualität und die Arbeiter sind weniger oft krank. Das steigert die Produktivität.

Dazu zählt auch der alte Baustoff Lehm.

Holz100 hat auch einen C2C Ansatz. Platten werden über Kreuz geschichtet und Dübel sorgen für mechanische Verbindungen. Es entsteht ein gesunder Baustoff, weil komplett auf Kleber und andere Schutzmittel verzichtet wird.

Der Schlüssel dafür ist Mondholz, weil die Holzfasern dichter sind und dadurch keine Schädlinge eintreten können. Es wird auf toxische Holzschutzmittel verzichtet. Dabei entstehen höhere Investitionskosten, weil der Planungsaufwand viel höher ist. Allerdings können durch die Vorteile des Holzes in der Nutzungsphase Kosten eingespart werden, die eine anfängliche höhere Investitionssumme wieder ausgleichen.

Ein Beispiel dafür ist der Woodcube in Hamburg. Es ist ein Mehrfamilienhaus, das in Massivholzbauweise errichtet wurde. Dabei wird komplett auf schädliche Stoffe verzichtet. Somit ist das Gebäude CO₂-neutral. Der Brandschutz wird bei solchen Projekten oft angezweifelt. Allerdings wird durch die massive Bauweise auf weitere Maßnahmen dafür verzichtet.

Ein weiteres Beispiel ist das „The cradle“ im Düsseldorfer Medienhafen: Ein Bürogebäude, das fast ausschließlich aus Holz besteht. In der Planung ist schon berücksichtigt, dass dieses Holz irgendwann weiterverwendet wird. Trotzdem konnte leider nicht völlig auf Beton verzichtet werden. Es wurde aber eine Zusammensetzung gewählt, die danach sortenrein wiederverwendet werden kann. Bei der Innenausstattung wird auf schadstofffreie und recyclebare Materialien gesetzt, weil den Mitarbeitern eine gesunde Umgebung geboten werden soll.

Wie schon erwähnt, sind Sanierungen viel besser als der komplette Abriss des Gebäudes. Eine Skelettbauweise würde dabei helfen, dass Wände ein- und ausgebaut werden können. So könnten Gebäude nacheinander für unterschiedliche Zwecke genutzt werden. Die mögliche Grundrissänderung kann auch bei der ursprünglichen Planung berücksichtigt werden.

Dabei sollte auch die nachhaltigste Wohnsituation betrachtet werden. Das Beste wäre im Durchschnitt weniger Wohnraum für jeden Einwohner. Dadurch würde auch die gravierende Flächenversiegelung zurückgehen. Am effizientesten wären viele Wohngemeinschaften mit privaten Räumen, aber gemeinsamen Wohnbereichen und Bädern.

Bei diesen Beispielen ist ersichtlich, dass es bei C2C nicht nur auf die Nachhaltigkeit der Materialien ankommt, sondern ein komplettes Umdenken gebraucht wird. Dabei ist das Ziel, ganze Quartiere zu betrachten, die alle dem C2C-Prinzip entsprechen. Es ist sogar einfacher, im Großen zu denken, als jedes Bauwerk einzeln zu betrachten.

Ein nachhaltig zertifiziertes Stadtviertel ist der Cloche d’Or district in Luxemburg. Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Bildung, Mobilität, und Einkaufen werden im Sinne der Nachhaltigkeit in Einklang gebracht. Es gibt zahlreiche Grünflächen mit einer reichen Biodiversität.

In den Niederlanden gab es in Hinblick auf C2C schon den ersten Aufschwung: In der Stadt Venlo wurde ein solches Gebäude erbaut und dient der gesamten Welt als Vorzeigebeispiel. Es ist das grüne Bürgerbüro der Stadtverwaltung. Die nördliche Seite des Gebäudes ist eine Fassade mit Pflanzen. Sie kann CO₂ umwandeln, Feinstaub filtern und Stickstoffoxide und Ozon absorbieren. Innerhalb des Gebäudes sorgen ebenfalls viele Pflanzen für zusätzlichen Sauerstoff und Feuchtigkeit. Die Aussagen der Experten von Venlo sind, dass dadurch das Gebäude ein gutes Bauwerk wird und nicht nur ein weniger schlechtes. Fassaden sind aus Aluminium. Das ist unendlich wiederverwendbar ohne Verlust der Qualität. E wurde ein sogenannter Sonnenschornstein geplant, der aus Glas besteht und das Dach erhitzt. Es entsteht ein natürlicher Zug im Gebäude. Durch die Thermik wird die Luft alle zwei Stunden ausgetauscht.

Die Betonkernaktivierung regelt die Temperatur im Gebäude. Dadurch spart man sich eine teure und energiefressende Heizung oder Klimaanlage. An der Außenwand sind Solarzellen eingebaut, die gleichzeitig Sonnenschutz und Energiebringer sind. Im Vergleich zum früheren Standort der Stadtverwaltung hat sich der Energieverbrauch um ein Drittel reduziert. Auch die verwendeten Möbel sind überwiegend zertifiziert, zum Beispiel bei Stühlen oder dem Teppich. Die meisten Produkte können nach der Lebenszeit des Gebäudes wiederverwendet werden. Der besondere Grundriss lässt zu, dass die Materialien schneller wieder auseinandergebaut werden können.

Ist cradle-to-cradle bald der Standard?

Cradle-to-Cradle ist ein neuer Lebensansatz zur Nachhaltigkeit im Bauwesen. Trotzdem stehen wir leider immer noch am Anfang. Diese neue Denkweise muss erst weitgehend akzeptiert werden.

Es gibt dabei nicht nur eine einzelne Lösung. Wenn man zum Beispiel verschiedene Standorte betrachtet, gibt es viele unterschiedliche regionale Materialien. Dabei muss man akzeptieren, dass die Anschaffungskosten höher sind. Das wird sich aber am Ende über den gesamten Lebenszyklus auszahlen.

100 Prozent cradle-to-cradle funktioniert noch nicht. Es gibt z. B. noch keine richtige Alternative für ein Fundament. Recyclingbeton ist sehr aufwendig herzustellen und auch teuer. Man spricht hier auch vom Downcycling, weil hochwertige Produkte nur im Straßenbau im Untergrund verbaut werden.

Einschub: Implementation von Nachhaltigkeit in RFEM

Bei RFEM 6 gibt es das zweiteilige Add-on Optimierung und Kosten/ CO₂-Emissionsschätzung. Über KI der Partikelschwarmoptimierung werden passende Parameter gesucht, damit die üblichen Optimierungskriterien eingehalten werden. Es schätzt die Modellkosten bzw. -CO2-Emissionen durch die Vorgabe von Stückkosten bzw. – Emissionen je Materialdefinition für das Strukturmodell ab. Unter folgendem Link erfahren Sie mehr.

Wie Sie sehen können, sind Forschung und Innovationen vorhanden. Das Einzige was noch fehlt, ist, anzufangen. Auch BIM wird dazu beitragen, dieses Prinzip weiter voranzutreiben.


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