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12. Juli 2022

Frauen im Bauwesen

Susann Herbrich ist unser Gast in dieser Podcastfolge. Wir sprechen mit ihr über Frauen im Bauwesen und die Entwicklung der Zukunft.

Erst seit 27 Jahren dürfen Frauen wieder auf dem Bau arbeiten. 120 Jahre lang galt für sie ein Beschäftigungsverbot im Bauhauptgewerbe in den alten Bundesländern. Trotzdem ist der weibliche Anteil immer noch in der Minderheit. Deshalb behandeln wir das Thema Frauen im Bauwesen mit unserem Gast Susann Herbrich.

Susann stellt sich vor

Susann Herbrich zählt zu den wenigen Frauen im Bauwesen. Sie war über 2,5 Jahre lang im Start-up building radar und hat dort das Marketing geleitet.

Wie sieht ihre Studienlaufbahn aus?

Susann hat Betriebswirtschaftslehre studiert und darin auch ihren Master gemacht. Marketing und interne Revision waren von Anfang an Themen, die sie sehr interessierten.

Wie ist Susann zu ihrem Beruf im Bauwesen gekommen?

Ihr Weg ins Bauwesen führte über die IT, in der sie viele Erfahrungen gesammelt hatte. Der CEO einer Firma begeisterte sie schließlich mit der Idee eines Start-ups, das die Baubranche digitalisieren möchte: building radar.

Was hat Susann an diesem Beruf am meisten Spaß gemacht?

Am dankbarsten war sie dafür, in einem Start-up zu arbeiten. Dort ließen sich spannende Ideen und Bewegungen erkennen. Bei building radar standen bereits starke Namen wie Jan-Hendrick Goldbeck und Hubert Rhomberg dahinter. Die Mischung aus Tradition und neuen Ideen hatte sie selten so erlebt.

Der Frauenanteil im Bauwesen

Die Frau ist im Bauwesen sehr stark unterrepräsentiert, erklärt Susann. Mit 13% Frauenanteil, also 1,9 Millionen, ist die Baubranche Schlusslicht. Noch dazu, meint Susan, sind wohl die wenigsten davon auf der Baustelle anzutreffen, sondern eher in digitalisierten Berufen. In Vollzeit arbeiten nur 7% Frauen in der Branche, weniger als im Bergbau, Energie –, Wasser -, und Entsorgungsbereich.

Gründe für diese Unterrepräsentation

Hier spielt laut Susann vor allem die historische Entwicklung der Branche eine Rolle. Die Digitalisierung im Bauwesen sei zum Beispiel ähnlich im Rückstand. Andere Branchen seien deutlich attraktiver. Der Umbruch geschähe jetzt, seit den letzten 20 Jahren.

Wie steht es um das aktuelle Frauenbild in der Baubranche im Vergleich zu früher?

Susann glaubt, dass es sich sehr positiv gewandelt hat. Es ist immer noch eine männlich dominierte Branche, wie z. B. auch die IT security. Ein größeres Problem sieht sie jedoch in der fehlenden Heterogenität dieser Bereiche. Neue Ideen und Sichtweisen helfen dabei, aus alten Rollenbildern herauszukommen.

Heterogene Teams

Susann versteht unter dem Begriff Heterogenität vor allem diversity. Teams gleichmäßig mit Frauen und Männern zu besetzen führe zu deutlich spannenderen Ansätzen und Ideen. Das gleiche Prinzip gelte für das Alter, bei dem auch eine Mischung sinnvoll sei.

Verdienen Männer in der Baubranche auch mehr als Frauen?

In der Baubranche kann Susann dazu keine Angaben machen. Der Anteil der Frauen steige jedenfalls. Sie hatte das Gefühl, dass zumindest bei ihrer Arbeit im Start-up ungerechte Bezahlung kein Thema war.

Hat Susann bei ihrer Arbeit irgendwelche nachteiligen Erfahrungen gemacht, weil sie eine Frau ist?

Für die Baubranche kann Susann das nicht behaupten, allgemein für die letzten 15 Jahre aber definitiv. In stark männlich dominierten Teams gab es immer mal wieder Männer mit veralteten Rollenbildern.

Da muss man wohl auch zwischen der Arbeit in einem modernen, digitalisierten Unternehmen und auf der Baustelle unterscheiden. Direkt auf Baustellen sind wohl wenige Frauen anzutreffen, daher herrscht dort auch ein anderer Umgangston: Die Baubranche sei dafür bekannt, etwas rauer, schmutziger etc. zu sein.

Susann stimmt zu und nennt die Kita als weiteres Beispiel. Ein paar physische Grundvoraussetzungen seien sicherlich auch vorhanden. Im digitalisierten Bereich sähe das Ganze anders aus.

Digitalisierung als Chance für Frauen

Laut Susann gibt es viele interessante neue Ansätze für eine Neuorganisation. So werden flexiblere Arbeitszeiten und Homeoffice möglich, wodurch man nicht mehr jeden Tag persönlich auf der Baustelle anwesend sein müsse. Viele Unternehmen haben sich beim Thema Sales schon stark digital orientiert. Dieser Trend biete Vorteile für Frauen, Männer und Familien.

Trägt die Pandemie zu einer Veränderung bei?

Gezwungenermaßen, wie Susann sagt. Durch die Pandemie wäre eine Umstellung notwendig geworden, auch für die Personen, die sich vorher darauf verlassen haben, ihr Netzwerk immer persönlich erreichen zu können. Kleinere workspaces um Städte herum werden attraktiver, ebenso das Konzept, wie Start-ups kurzfristig Büroflächen anzumieten. Auch das Thema Rohstoffe wurde gravierend durch Corona beeinflusst.

Rohstoffe

Susann spricht von den Auswirkungen des aktuellen Rohstoffmangels. In Kanada ist das Holz knapp geworden, Kiesgruben können nicht so schnell nachgefördert werden und es gab Produktionsstopps, die sich jetzt auswirken.

Eigentlich war die Baubranche die krisenfesteste Branche während der Pandemie. Jetzt merkt man allerdings, dass die Preise stark in die Höhe geschossen sind, wie bei Holz, Dämmstoffen und Stahl. Hoffentlich wird sich die Baubranche wieder erholen.

Susann kann sich das gut vorstellen. Es sei spannend, wie die Branche darauf reagiert – vielleicht mit mehr neuen, kreativen Ideen. Häuser, die man sich eher leisten kann und z. B. modulare Trends im Fertigbau sind interessante Entwicklungen, welche die Digitalisierung auch vorantreibt.

Gerade weil es in der Baubranche mit Neuerungen eher langsam vorangeht.

Susann glaubt, dass auch die Kunden immer mehr fordern werden. In großen Firmen gäbe es fortschrittliche Ansätze, während anderswo gerade mal eine Exceltabelle für die Baubegleitung und das Kauferlebnis zur Verfügung stünden.

Da gibt es auch Unterschiede zwischen Städten und ländlichen Regionen. Die großen Unternehmen in Städten arbeiten mit VR und AR und zeigen dem jeweiligen Bauherrn virtuell, wie sein Eigenheim aussehen könnte.

Susann bestätigt, dass diese Entwicklung anfängt. Technologien wie diese müssten aber erst im Alltag ankommen. Ein Planungsbüro hätte schlicht vergessen, ihnen eine solche Option anzubieten, obwohl sie sich sogar dafür entschieden hätten.

Gerade ein Haus baut man vielleicht nur einmal im Leben. So ein Feature sollte zum Einsatz kommen, wenn es geht. Es zu vergessen ist sehr schade.

Susann stimmt zu. Mit solchen Optionen könnte man späteren Enttäuschungen einfach vorbeugen.

Was bedeutet Gleichberechtigung für sie?

Susann nennt vor allem Respekt im Umgang miteinander und die Begegnung auf Augenhöhe, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Alter und sexueller Orientierung.

Wie schafft man es, mehr Frauen für das Bauwesen zu begeistern?

Susann spricht den Schulunterricht an, der bei naturwissenschaftlichen Fächern stark auf ein männliches Gehirn ausgelegt sei. Der Lehrstoff müsse gleichberechtigter, mit verschiedenen Ansätzen vermittelt werden.

Mit Klischees müsste von Anfang an aufgehört werden, schon in den Schulen. Flexible Arbeitsmodelle seien sowohl für Frauen als auch für Männer attraktiver. Mehr MINT-Projekte und mehr Arbeit in den Unis wären ebenfalls wichtig.

Ein wirksamer Ansatz, um die junge Generation für technische Berufe zu begeistern. Aktionen wie der Girls Day, bei dem Schülerinnen an MINT-Vorlesungen oder -Übungen teilnehmen konnten, sind ein guter Weg.

Während Susanns Studium gab es Unternehmen, die bei solchen MINT-Wochen aktiv mitwirkten. Das sei extrem hilfreich gewesen und habe gezeigt, was alles funktioniert.

Es kommt auch auf den Dozenten, Lehrer oder Professor an. Mit mehr Lehrerinnen und Professorinnen würde ein besseres Bild entstehen, gerade für Schülerinnen und Studentinnen.

Susann stimmt zu und ergänzt, dass man in Schule und Hochschule von den Lieblingsfächern und den Professoren sehr geprägt wird. Beim Marketing hatte sie einen Professor, der ihr das Lieblingsthema beinahe verleidete. Andererseits schaffte es ein Professor, die interne Revision so spannend zu erläutern, dass sie sich darauf spezialisierte. Mehr Diversität in der Lehre wäre wünschenswert.

Wie sieht Susann die Zukunft im Bauwesen ganz allgemein?

Sie findet die Entwicklungen im 3D-Druck sehr spannend. Außerdem kommt sie auf Raphael Gielgen zurück, in dessen Zukunftsvisionen sie sich sehr gut wiederfindet. Bei building radar wurde viel mit KI gearbeitet und Susann sieht auch dort ein großes Potential. Das saubere digitale Abbilden von Bauvorhaben und Baustellenmanagement, auch privat, sind für sie spannende Trends.

Warum ist die Digitalisierung in der Bauindustrie so langsam?

Susann sieht hier großen Nachholbedarf. Während große Unternehmen schnell Fortschritte machten, gäbe es bei den vielen kleinen Unternehmen, aus denen die Branche besteht, Probleme. Durch Corona ginge es vorwärts, aber es würde noch etwas dauern, bis das Gewerbe aufgeholt hat.

Wenn sie jetzt einen Wunsch frei hätte, was würde sie in der Baubranche verändern?

Susann würde kleineren Tools und neuen Ideen einen größeren Raum geben. Ein zweiter Wunsch wäre, wirklich nachhaltig mit Rohstoffen zu bauen, die uns den Planeten schützen lassen.

Nachhaltigkeit ist ein großes Thema, gerade weil die Baubranche einer der Hauptverantwortlichen für schädliche Umwelteinflüsse ist. Wir sollten es in den Fokus richten, nachhaltigere Bauweisen und Rohstoffe nutzen und für die Errichtung neuer Gebäude ein in sich geschlossenes Kreislaufsystem der Wiederverwendung anstreben.

Das wäre auch für Susann ein Traum.

Welches ist ihr Lieblingsbauwerk?

Der Eiffelturm, der zwischen den geschichtsträchtigen Gebäuden den Aufbruch in eine neue Zeit symbolisiert.

Der Errichter war auch einer der Vorreiter des Stahlbaus. Er war sehr innovativ und hat sich damit ein Denkmal geschaffen.

Wenn der gewusst hätte, wie viele Heiratsanträge er mit seinem Monument schafft, meint Susann.