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31. März 2022

Der Einsturz des Shoppingcenters in Seoul

Im Zuge des Baubooms in Südkorea wurde in den 90er Jahren ein riesiges Einkaufszentrum in Seoul erbaut. Nach sechs Jahren Betriebszeit ereignet sich dort allerdings eine folgenschwere Katastrophe. 500 Personen sterben. Fast Tausend werden verletzt. Wie kann es zu einer solchen schweren Katastrophe kommen? Wer ist schuld? Wie hätte das verhindert werden können?

Einleitung

Wir schlafen, essen, arbeiten und verbringen unsere Freizeit in Gebäuden. Dabei fühlen wir uns immer sicher und geborgen. Die Ingenieurinnen und Ingenieure bemessen eine überhöhte Sicherheit, damit Gebäude standsicher bleiben, auch wenn Bauteile nicht mehr tragfähig sind oder Fehler in der Ausführung passieren. Zu viele Fehler haben aber fatale Folgen.

In den 90er Jahren erlebt Südkorea einen Bauboom. Die Bevölkerung zieht in Windeseile ein Gebäude nach dem anderen in die Höhe.

Dabei entsteht ein großes Einkaufszentrum. Allerdings kommt es auch zu der schwersten Tragödie in Südkorea, für die Menschen verantwortlich sind. Am 29. Juni 1995 stürzt das Einkaufszentrum in Seoul ein. Die Katastrophe reißt über 500 Menschen mit in den Tod.

In diesem Blogeintrag werdet ihr erfahren, wie es zu dieser schrecklichen Situation kam und welche Sicherheitskonzepte in Deutschland und Europa es gibt.

Die Geschichte

Es ist das angesehenste und edelste Einkaufszentrum in Südkorea. Insgesamt arbeiten hier 1.000 Mitarbeiter. Tagtäglich kaufen ungefähr 40.000 Kunden ein.

Der 29. Juni scheint ein ganz normaler Tag wie jeder andere zu sein. Doch auf einmal hören die Kunden seltsame Geräusche. Die Verantwortlichen verdächtigen zuerst die Risse auf dem Dach. Die sind schon länger vorhanden, weil sie ein paar Klimaanlagen verschoben haben. Zusätzlich entdecken sie aber einen Spalt zwischen der Stütze und der darunterliegenden Decke in einem Restaurant im fünften Obergeschoss, das daraufhin gesperrt wird. Mit der Zeit nehmen immer mehr Menschen Vibrationen im ganzen Gebäude wahr. Die Betreiber schalten die Klimaanlagen ab. Allerdings erhitzt sich dadurch das Gebäude auf 30 Grad Celsius.

Ein Statiker empfiehlt das Einkaufszentrum sofort zu räumen und zu schließen. Der Besitzer lehnt ab – das Geschäft geht vor.

Das ist ein fataler Fehler. Mit einem lauten Geräusch gibt die oberste Decke nach. Die Klimageräte auf dem Dach fallen in das darunterliegende Geschoss und lösen eine Kettenreaktion aus. Der gesamte Nordflügel stürzt ein. Innerhalb von Sekunden ist das einst angesehene Shoppingcenter ein Haufen aus 42 000 Tonnen Schutt und Asche. Sofort werden Rettungsmaßnahmen eingeleitet. Doch 502 Tote sind unter den Trümmern begraben. 937 Personen sind verletzt oder schwerverletzt. Sechs Personen sind bis heute vermisst.

Die Frage, die Sie sich jetzt bestimmt stellen, ist, wie so ein Gebäude nach sechs Jahren plötzlich einstürzen kann. Was sind die Ursachen für das Unglück?

Sachverständige forschen nach den Ursachen des Unglücks. Sie stellen viele Theorien auf.

Theorie 1: Gasunfall

War es ein Gasunfall? Daher könnte auch der Brand stammen. Allerdings gab es im Shoppingcenter zwei Monate früher ein Leck an der Gasleitung, weswegen die Gaszufuhr unterbrochen wurde. Schnell wird aber klar: Das Feuer entstand nicht durch die Explosion. Das Benzin aus den verschütteten Autos entfachte den Brand.

Theorie 2: Terroranschlag

Nordkoreanische Agenten könnten einen Terroranschlag verübt und die Stütze mit einer Bombe beschädigt haben. Allerdings passt das Muster einer Bombe, weitgestreute Trümmerfelder, die sich seitlich über mehrere 100 Meter verteilen, nicht dazu. Das Bauwerk fiel einfach nur in sich zusammen.

Theorie 3: Pfusch am Bau

Weitere Untersuchungen müssen angestellt werden. Es kann nur noch Theorie 3 in Betracht gezogen werden – Pfusch am Bau. Dazu gehören Fehler in der Planung, in der Bauausführung und Überwachung oder Materialfehler.

Betrachten wir die Vorgeschichte des Gebäudes. Das Shoppingcenter sollte ursprünglich ein Bürogebäude werden. Für die Rolltreppen im Center ersetzen die Verantwortlichen einige Stützen. Während ursprünglich nur vier Obergeschosse geplant waren, wird nun eine fünfte Etage eingebaut. Die Baufirma weigert sich erst, diese Planung durchzuführen, und wird durch eine betriebsinterne Firma ersetzt.

Zusätzlich kommt noch ein weiteres Problem hinzu. In der fünften Etage werden anstatt der geplanten Rollschuhbahn acht Restaurants gebaut.
Die Kunden speisen auf dem Boden. Eine Fußbodenheizung sorgt hier für Gemütlichkeit. Das bedeutet aber mehr Belastung, weil der Boden dicker und schwerer wird, und Risse entstehen.

Fehlerhaftes Baumaterial

Zuerst kommt die Frage auf, ob das benutzte Baumaterial mangelhaft oder fehlerhaft ist. Dafür testen IngenieurInnen mithilfe einer hydraulischen Spannvorrichtung die Belastbarkeit des Stahlbetons. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen aber, dass das verwendete Material nicht die Ursache für das Versagen ist. Der Beton ist nicht porös.

Fehlerhafte Ausführung (Tragwerk)

Vielleicht ist der Grund aber auch die Flachdeckenkonstruktion. Betonstützen werden durch integrierte Stahlträger verstärkt. Dadurch kann man große Räume schaffen.

Allerdings kann man die Abmessungen der einzelnen Teile nicht aus den Plänen lesen, weil die Entwürfe des Architekten nur das halbe Bild zeigen. Aus diesem Grund werden die Größe der Platten und Stützen untersucht. Der Statiker fügt diese Zahlenwerte in den endgültigen Bauplan ein. Hier stoßen die Prüfer auf eine beunruhigende Diskrepanz: In der Berechnung beträgt der Durchmesser der Stützen 80 Zentimeter, in den Plänen aber nur 60 Zentimetern. Welche Zahlenwerte wurden tatsächlich benutzt?

Am Unglücksort machen die Experten eine erschreckende Erkenntnis. Pro Stütze sollten eigentlich 16 Eisen eingebaut werden. Hier sind aber nur acht vorhanden. Die Belastungsfähigkeit verringert sich dabei um fast die Hälfte.

Um solche Fehler vorzubeugen, rechnen wir IngenieurInnen allerdings mit erhöhtem Sicherheitsfaktor. Die Standardsicherheitsmaßnahmen hätten das Gebäude eigentlich schützen sollen.

Fehlerhafte Ausführung (Bodenplatte)

Die Flächendeckenkonstruktion alleine ist nicht ausschlaggebend für den Einsturz. Deshalb kontrollieren die Prüfer die Bewehrung. Auch hier entdecken sie einen Mangel. Die Betondeckung beträgt nicht, wie laut Plan, fünf Zentimeter, sondern zehn Zentimeter.

Der wichtigste Punkt im Gebäude, das Fundament, war um 20 Prozent geschwächt. Mittlerweile summieren sich die Fehler auf. Der Grund dafür ist eine systematische Missachtung der Bauvorschriften.

Kritischer Punkt

Für den ausschlaggebenden Punkt des Einsturzes müssen wir zwei Jahre zurückgehen. Auf dem Dach befinden sich drei große, tonnenschwere Klimaanlagen. Zum Schutz des Nachbarschaftswohl verschieben die Zuständigen des Shoppingcenters die Anlagen auf die andere Seite des Daches – ohne einen Kran zur Hilfe zu nehmen.

Das Dach wird dadurch instabil und die Stützen werden überstrapaziert. Nachdem der Statiker die Berechnungen noch einmal überprüft hat, scheint zu diesem Zeitpunkt alles in Ordnung.

Allerdings ist das Einschalten der Klimaanlagen an diesem Tag der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Ventilatoren beben in das ohnehin schon instabile Dach hinein. Es entsteht eine dynamische Beanspruchung, welche die Rissbildung noch weiter begünstigt.

Das Beben wird in die fünfte Etage übertragen. Der Riss um eine Stütze wird immer größer und bricht dann ganz auf, sodass nur noch die Eisen die Platte und die Stütze verbinden. Die gerissene Platte kann den Belastungen irgendwann nicht mehr länger standhalten und gibt nach. Die Verantwortlichen stellen die Klimaanlagen sofort ab, aber zu spät. Der Riss wird immer größer und ist letztendlich der Grund für den Zusammenbruch.

Die Verantwortlichen

Wen bestraft die Justiz für dieses Verbrechen? Wer ist verantwortlich für die vielen Toten? Die Verantwortlichen folgten nicht den Anweisungen des Statikers und der Experten.

Deshalb muss der Besitzer für 10,5 Jahre in Haft wegen grober Fahrlässigkeit. Den Geschäftsführer und Sohn des Besitzers verurteilt der Richter zu 7 Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung und Korruption.

Durch diesen Skandal decken die Behörden noch weitere Korruptions- und Betrugsfälle auf. Insgesamt kommen sie 21 weiteren schuldigen Menschen auf die Schliche.

Konsequenzen für die Zukunft

Wegen einer Katastrophenserie in den vergangenen Jahren leiten die Behörden strikte Inspektionen für alle öffentliche Gebäude ein. Die Ergebnisse sind erschreckend. Jedes siebte Hochhaus wird umgebaut. 80 Prozent der Gebäude müssen umfassend renoviert werden. Insgesamt sind 98 Prozent der Gebäude nicht sicher.

Sicherheitskonzept in Europa

Ingenieure in Europa bemessen Bauwerke nach den Sicherheitsstandards des Eurocodes. Die Grundlage für sichere Bauwerke ist das semiprobalistische Teil-Sicherheitskonzept. Im Bauwesen dient es zur Bemessung einer statischen Berechnung.

Seit Einführung des Eurocodes ist in Europa dieses Sicherheitskonzept Stand der Technik. Die Berechnung berücksichtigt die statistischen Standardabweichungen auf der Einwirkungsseite und auf der Widerstandsseite. Bei den Kalkulationen werden Teilsicherheitsbeiwerte für die Belastungen und Materialien verwendet.

Fazit

Zusammenfassend können wir sagen, dass das Unglück am Ende einer langen Fehlerkette steht. Aus solchen Katastrophen kann man nur lernen. Trotzdem können wir IngenieurInnen Tote und Verletzte aufgrund von Mängeln und Fehlern nicht entschuldigen.

Obwohl die Katastrophe so schlimm war und die Menschen diesen Tag nie wieder vergessen werden, gab es auch zwei kleine Wunder.

Verschüttete Menschen überleben unter solchen Massen meist nur 72 Stunden. Aus diesem Grund entscheidet man schon nach einigen Tagen die Bergung einzustellen und mit der Suche aufzugeben. Nach 12 Tagen wird allerdings ein 19-jähriges Mädchen gefunden. Ein weiteres Mädchen kann sogar nach fast 16 Tagen geborgen werden. Die beiden konnten nur deshalb überleben, weil sie Regenwasser getrunken haben.


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