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12. Juli 2022

Skiausflug in den Tod

Bei dieser Katastrophe waren nicht Bauingenieure und Bauingenieurinnen die Schuldigen. Trotzdem blicken wir über den Tellerrand hinaus und erzählen von dieser Tragöde, bei der zu viele Menschen ums Leben gekommen sind.

Dieses bewegende Unglück hatte tragische Folgen. Doch heute spricht man kaum mehr darüber. Bei der Katastrophe wurden Bauingenieure angeklagt, aber sie waren nicht die Schuldigen. Trotzdem werden wir mit diesem Beitrag über unseren Tellerrand hinausblicken und dieses erschreckende Ereignis noch einmal erzählen.

Am Skigebiet Kitzsteinhorn/Maiskogel – Kaprun in Österreich können Skifahrer bis in eine Höhe von 3029 Metern den Wintersport ausleben. Vor 20 Jahren, am 11. November 2000, passiert hier allerdings eine Katastrophe, die diesen Ort traurigerweise noch viel berühmter macht.

Die Standseilbahn ist die längste weltweit. Im Jahr 1972 wurde sie erbaut und im Jahr 1994 aufwendig renoviert. Sie funktioniert nach dem Prinzip einer Gegenbahn. Das beutet, wenn eine Bahn hochfährt, fährt die andere Bahn wieder herunter und umgekehrt. Auf beiden Seiten ist ein Führerstand. Der Fahrer muss deshalb das Häuschen wechseln, je nachdem an welcher Station er sich befindet.

Insgesamt kann das Transportmittel etwa 180 Personen befördern. Die achteinhalbminütige Fahrt führt durch einen insgesamt drei Kilometer langen Tunnel.

Um 9:02 startet die Bahn mit Urlaubsgästen wie gewohnt am Berg. Nach etwa 20 Metern fällt einem Insassen ein leichter, ungewöhnlicher Rauch in dem talseitigem Führerhäuschen auf. Er vermutet einen Brand im hinteren, fahrerlosen Teil. Allerdings gibt es kein Signal zum Fahrer der Bahn, und auch keinen Handyempfang.

Nach 1132 Metern bleibt die Bahn plötzlich stehen. Die Insassen werden nicht über den Grund informiert. Sie sind dem giftigen und beizenden Rauch ausgeliefert. Die Lage ist ernst. Trotzdem herrscht in dem Wagon statt Panik nur konzentrierte Stille.

Vergebens wird nach einem Ausweg gesucht. Es gibt keine Hilfsmittel wie Nothammer in diesem Zug. Ein Fahrgast entscheidet sich, mit seinem Ski die Plexiglasscheibe zu zerstören.

Mittlerweile brennt der hintere Teil des Zuges lichterloh. Bei einem solchen Feuer ist vor allem der giftige Rauch aus Kohlenmonoxid gefährlich. Der Tunnel hat eine Steigung, deshalb ist die Situation mit einem Kamin vergleichbar. Das Feuer zieht mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h von unten nach oben zur Bergstation. Die wenigen Überlebenden stürzen sich noch rechtzeitig kopfüber aus dem zerstörten Fenster.

Um 9:10 meldet der Zugführer einen Brand. Es wird ein Notruf abgesetzt. Von den Leuten, die nicht im Tunnel sind, weiß niemand, welcher Überlebenskampf sich dort gerade abspielt.

Um 9:11 kommt es zu einem Stromausfall für die Bahn und die gesamte Region. Es gibt zwölf Überlebende. Sie laufen nach unten, zur Öffnung des Tunnels. Endlich kann auch der Zugführer die Türen öffnen und aus dem Fahrzeug entfliehen.

Es gibt keine Hinweisschilder zur Fluchtrichtung. Ihrem natürlichen Instinkt folgend, fliehen die Menschen vom Feuer weg, nach oben. Hier zieht aber auch der tödliche Rauch hin. Die Überlebenden laufen auf einer nur 55 cm breiten Treppe nach unten. Sie wurde nicht als offizielle Fluchttreppe geplant und hat deshalb nur ein Seil als Geländer, Stufen mit unregelmäßigen Abständen und kein Notlicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Flüchtenden immer noch in Skischuhen und Schneeanzug sind. Sie müssen ungefähr 2000 Stufen nach unten laufen. Währenddessen kommt es zu zwei Explosionen. Dadurch entsteht Panik, dass die Seile des Zuges reißen und dieser einfach nach unten rast. Das würde auch den Tod für diese Menschen bedeuten. Doch die zwölf Skifahrer können sich aus dem Tunnel befreien. Sie werden sofort gerettet.

Viele Rettungskräfte werden alarmiert. Sogar Soldaten kommen. Schnell wird jedoch klar, dass es nichts mehr zu retten gibt. 150 Menschen verloren den Kampf ums Leben im Tunnel schon nach kurzer Zeit. In der Bergstation setzt sich die Tragödie fort. Drei Menschen fallen hier dem giftigen Rauch zum Opfer. Der Zugführer und ein Tourist in der talwärts fahrenden Bahn kommen ebenfalls ums Leben.

Nicht nur die seelische Anstrengung der Retter, sondern auch die körperliche Herausforderung ist beträchtlich. Sie müssen die Leichen teilweise 40 bis 50 sehr steile Stufen hinauftragen. Ein Hubschrauber fliegt die Verunglückten schließlich ins Tal.

Das Unglück hinterlässt 500 Hinterbliebene. 49 Kinder werden zu Halb- oder Vollwaisen. Es beginnt eine schwere Zeit für die Angehörige, aber auch für alle Rettungskräfte und andere Beteiligten.

Wie kann es zu so einer Katastrophe kommen?

Zunächst musste ermittelt werden, welche Gründe überhaupt zur Katastrophe führten. Die Bahn ist komplett ausgebrannt. Die schlussendliche Hauptursache war ein unpassendes Heizgerät bzw. Heizlüfter. Dieser ist eigentlich nur für den normalen Hausgebrauch zu verwenden. Die Heizung brach wohl wegen der Erschütterung unbemerkt aus der Halterung. Wahrscheinlich verloren Hydraulikleitungen an ihren Verbindungsstücken Öl. Sie waren in unmittelbarer Nähe zum Heizlüfter verlegt. Das Öl gelangte wohl an den heißen Heizstern des Heizgeräts und entzündete sich. Zunächst kam es zu einer leichten Rauchentwicklung im Führerhäuschen, weil die Plastikbehausung nicht mehr standhält. Hydrauliköl wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Wenn viel davon ausläuft, kann es außerdem zu einem Druckabfall in der Bremshydraulik kommen. Deshalb bremste die Bahn automatisch und blieb im unteren Drittel des Tunnels stehen.

Ein weiteres Problem war, dass die Bahn keine Brandschutzeinrichtungen hatte. Dabei hat man nicht beachtet, dass das Fahrmittel selbst auch einen Brand auslöse könnte. Über eine Sprechanlage hätten die Mitfahrer Kontakt zum Fahrer aufbauen können. Nach einem Kompromiss wurde dieser Einbau aber als nicht notwendig angesehen, weil es sich nur um eine kurze Strecke handelt, und um den Fahrer nicht abzulenken.

In der Bahn wurden viele brennbare Materialien verbaut. Der tragische Verlauf dieses Unglücks folgt auch aus den fehlenden elementaren Sicherheitsvorkehrungen. Nothammer, Notausgänge, Fluchtwege und Feuerlöscher waren einfach nicht vorhanden.

Wer sind die Schuldigen? Wer wurde dafür angeklagt?

Am 18. Juni 2002 beginnt der Prozess. 16 Menschen sind angeklagt. Insgesamt werden es 63 Prozesstage mit 55 000 Seiten Akten. Die Anklage lautet fahrlässige Herbeiführung und fahrlässige Gemeingefährdung. Ein „lustiger“ und wirklich kaum verständlicher Fakt ist, dass Standseilbahnen als unbrennbar galten. Es hat nämlich noch nie zuvor eine gebrannt. Das ist den österreichischen Normen entsprechend. Es sind insgesamt drei Mitarbeiter der Gletscherbahn Kaprun AG angeklagt, und zwar der technische Direktor, der Hauptbetriebsleiter und der Betriebsleiter. Die Heizlüfter wurden von der Firma Swoboda Karosserie- und Stahlbau eingebaut. Die beiden Geschäftsführer wurden ebenfalls beschuldigt.

Drei Mitarbeiter der Mannesmann-Rexroth AG bauten die Hydraulikleitungen ein. Drei Beamte des Verkehrsministeriums und zwei Inspektoren des TÜVs mussten sich ebenfalls vor Gericht verantworten. In Bezug auf Bauingenieure wurden ein Techniker, ein Prüftechniker und der Baumeister angeklagt. Eine Brandschutztür in der Ausgangsschleuse der Bergstation hat den Rauch im Alpincenter verursacht, ihr Einbau wurde jedoch als sachgemäß festgestellt.

Obwohl so viele Menschen sich vor Gericht verantworten mussten, gibt es doch ein sehr unerwartetes Ergebnis. Am 19. Februar 2004 kommt es zum Freispruch aller Angeklagten. Das Beweiserfahren erbringt vollständige Entlastung. Insgesamt bekommen die Angehörigen eine Entschädigung von 13,9 Millionen Euro. Das sind etwa 30 000 Euro pro Person.

Das Gerichtsurteil wurde immer wieder angezweifelt. Deshalb rollte die Staatsanwaltschaft Heilbronn das gesamte Unglück noch einmal neu auf. Sie stellten zusätzlich fest, dass es ein ungültiges Prüfzeichen am Heizlüfter gab, die Lieferung nicht in der Originalverpackung und auch ohne Handbücher gekommen ist. Trotzdem kommen sie schließlich zu dem gleichen Ergebnis, dass es kein strafrechtliches Verhalten der Beschuldigten der Heizlüfterfirma gibt. Die Neuaufnahme des Prozesses scheitert wiederum. Im Jahr 2010 verjährt schließlich die Anklage.

Welche Lehren hat man aus diesem schrecklichen Ereignis gezogen?

Für zukünftige Berg- und Seilbahnen wurden zahlreiche Gesetze und Sicherheitsverordnungen geändert. Das gleiche Modell der Standseilbahn war auch noch im Pitztal im Einsatz. Es wurden einige Verbesserungen durchgeführt. Es gibt jetzt eine Videoverbindung zum Zugbegleiter und eine Sprechanlage zur Führerkabine. Passagiere haben auch Handyempfang. Es gibt Türnotöffnungen und Hammer, damit die Fenster eingeschlagen werden können. Der Tunnel ist nun beleuchtet. Außerdem wird die Bahn systematisch innerhalb bestimmter Zeitabschnitte geprüft. Es wird täglich vor der ersten Fahrt der Gäste eine Dienstfahrt durchgeführt. Der Hilfsantrieb wird jede Woche geprüft. Die Betriebs- und Sicherheitsbremsen unterliegen einer monatlichen Prüfung und die Zug- und Tragseile einer halbjährlichen. Jedes Jahr muss eine obligatorische Bergungsübung durchgeführt werden. Alle zwei Jahre werden die Zugseilbefestigungen an den Laufwerken geprüft.

Was wird nun aus dem Tunnel?

Zwischenzeitlich haben sich die Verantwortlichen überlegt, den Tunnel als Lastentransporter für 600 Tonnen Getränke und Lebensmittel für die Restaurants umzufunktionieren. Im Gegenzug dazu sollten 130 Tonnen wieder zurück ins Tal transportiert werden. Das beruhte allerdings nicht auf einem guten Logistikzentrum. Deshalb wurde die Gletscherbahn Kaprun 2 nie wieder in Betrieb genommen. Im Jahr 2014 wurde die Stahlbrücke abgebaut. Der Tunnel ist verschlossen und dient jetzt nur noch der Energieversorgung und sanitären Einrichtungen. Mehrere neue und andere Bahnen ersetzen jetzt die ursprüngliche Bahn.

Am 11. September 2004 wurde die Gedenkstätte an die Opfer eingeweiht, ein langgezogener Quader aus Sichtbeton und Glas in der Gletscherbahn-Station. Trotzdem können die Angehörigen wohl nie richtig damit abschließen. Es gibt niemanden der sich für diese Tat verantwortlich fühlt. Am schlimmsten ist wohl auch, dass sich nie wirklich jemand bei den Hinterbliebenen für dieses tragische Ereignis entschuldigt hat.