1180x
000082
19. Januar 2023

Evolution der Baubranche – AR und VR

VR-Brillen kennt sicherlich jeder – zumindest vom Sehen her. Auch AR ist den meisten von z.B. Head-Up-Displays in modernen Autos bekannt. Hier wird entweder mithilfe von Technik etwas in die Umwelt projiziert oder aber eine ganz neue Umwelt erschaffen. Faszinierend! Wir sprechen mit unseren Gästen Christian Schranz und Harald Urban über die Möglichkeiten von AR und VR im Bauwesen. Wie nahe sind wir dem Traum der digitalisierten Baustelle? Wir sind gespannt, was sie uns erzählen können!

Alle Zeichen stehen auf Zukunft

Unsere heutigen Gäste sind Experten auf dem Gebiet von AR und VR. Wir begrüßen Christian und Harald in unserem Podcast. Beide arbeiten an der TU Wien im Zentrum für Digitalen Bauprozess. Für jeden von ihnen begann ihr beruflicher Werdegang bereits mit 14 Jahren im Ingenieurwesen – in Österreich ganz normal, wie wir erfahren. Ihr Weg führte sie an eine HTL, eine Höhere Technische Lehranstalt. Dabei handelt es sich um eine Art Fachgymnasium für technische Berufe, das die Klassen 9 bis 13 abdeckt. Mit einem Abschluss kann man direkt studieren und hat bereits eine technische Ausbildung in bspw. Maschinenbau, Elektrotechnik oder Bautechnik hinter sich.

Beide studierten Ingenieurwesen und bauten das Zentrum für Digitalen Bauprozess in Wien auf. Christian leitet diesen Fachbereich und Harald ist sein Stellvertreter – ein echtes Team also! Der Kern ihrer Arbeit liegt vor allem in der Digitalisierung des Bauwesens. Gemeinsam führen sie einige interessante Forschungen durch, unter anderem zu VR und AR im Bauwesen.

AR und VR – Wo liegt der Unterschied?

Auf der einen Seiten haben wir unsere Realität, also reale Elemente in unserer realen Umgebung. Christian erklärt es mit herkömmlichem Brillenglas, durch das man hindurch sieht.

Dagegen ist Augmented Reality die virtuell erweiterte Realität. Wir sehen also durch unsere Brille oder über ein Tablet die reale Umgebung. Nun können wir digitale, virtuelle Elemente in diese Umgebung platzieren. Beispielsweise stehen wir auf einer realen grünen Wiese, die als Baugrundstück dienen soll, und sehen über unsere Brille oder ein Tablet das virtuelle Haus, wie es auf dieser Wiese steht. Auch Möbelhäuser nutzen so etwas bereits, damit ihre Kunden abschätzen können, ob z.B. das gewünschte Sofa überhaupt ins Wohnzimmer passt. Darin sehen wir natürlich sofort großes Potenzial!

Bei VR (Virtual Reality) dagegen ist die gesamte Welt um den Nutzer herum virtuell. Ein Beispiel dafür sind natürlich vor allem Videospiele, die über eine geschlossene Brille erlebt werden können. Hier taucht der Benutzer vollkommen in eine andere Welt oder ein Bauwerk ein.

Chancen und Nutzen von AR im Bauwesen

Im Bauwesen sind VR und AR eine Unterstützung bei der täglichen Arbeit. Gerade für den Planungsprozess ist das natürlich sehr interessant. Christian beschreibt es uns am Beispiel VR genauer.

  • "Ich sehe ein Gebäude, das geplant ist, und kann durch dieses Gebäude durchgehen."

Vor allem bei komplizierten Gebäuden kann diese Technologie dafür sorgen, dass Umplanungen möglichst früh stattfinden können, falls dann doch etwas nicht hundertprozentig passt. Für die Modellplanung im Büro ist das also ein definitiver Fortschritt. Auch Webmeetings finden teils bereits in solchen VR-Umgebungen statt.

Eine andere Einsatzmöglichkeit für VR ist das Training von Ernstfällen. Wie verhalte ich mich, wenn wichtige Anlagen ausfallen oder im Brandfall? Gerade, um Abläufe zu üben, die selten und bestenfalls gar nicht passieren, ist VR wie geschaffen.

Sobald das Modell auf der Baustelle umgesetzt werden soll, kommt vor allem AR zum Einsatz und spielt hier seine Stärken aus. Unsere Gäste erzählen uns von einem ihrer Forschungsprojekte, bei dem eine AR-Brille die Hauptrolle spielte. Damit wurde bspw. die Abnahme der Baustelle getestet.

Gerade in der Ausbildung oder bei Tätigkeiten, die einfach selten durchgeführt werden müssen, können über AR z.B. Anleitungen direkt für den Nutzer eingeblendet werden.

Doch AR und VR können noch mehr! Spätestens seit der Corona-Krise sind digitale Messen nichts Neues mehr. Es können ganze Messestände von AR oder sogar VR profitieren. Auch das Problem, ob der Kunde zu einem Produkt oder das Produkt zum Kunden kommt, ist dank AR und VR gelöst. Hier können sich Interessierte bspw. eine verschiedene Auswahl an Ziegeln ansehen, ohne dass Ziegel zum Kunden oder Kunden zum Ziegel kommen müssen.

Wusstet ihr schon? Auch Dlubal-Statikprogramme könnt ihr mittlerweile in VR und AR erleben. Hier erfahrt ihr mehr dazu:

Christian spricht in diesem Zusammenhang auch über ihr entwickeltes "Remote Expert System". Was hat es damit auf sich? Angenommen, es gibt Probleme auf einer Baustelle. Dann kann ein Experte über VR hinzugeschaltet werden. Er kann sich über das Sichtfeld eines Kollegen vor Ort also genau zeigen lassen, was passiert ist und konkrete Anweisungen geben, bspw. indem er der Person direkt Lösungsvorschläge einblendet. Dadurch wird ein Problem zeitnah und unkompliziert gelöst, ohne dass ein Experte sich erst auf den Weg zur Baustelle machen muss.

Auf der Baustelle soll diese Technologie vor allem für die Abnahme und Qualitätskontrolle zum Einsatz kommen. Aber nicht nur das Bau-Team selbst profitiert davon. In Wien ist es so, dass dank eines weiteren Forschungsprojekts unserer Gäste die Nachbarn einer Baustelle direkt Einsicht in das Bauvorhaben nehmen können. In BIM werden die Pläne eingereicht, dann aber gleichzeitig durch AR so umgesetzt, dass auch Bürger ohne technisches Vorwissen sich vorstellen können, was dort gebaut wird und wie es am Ende aussehen soll. Ziemlich praktisch, finden wir!

Wie weit ist diese Technik schon?

Die Erwartungen sind hier relativ hoch. Die Datenmengen zu verarbeiten und vor allem sie richtig zu verarbeiten, wird noch eine größere Aufgabe für die Zukunft. Dabei muss auch bedacht werden, dass solche Daten in falsche Hände kommen könnten. Hier ist noch einiges an Forschung und Feinabstimmung nötig.

Aktuell sind Hardware und Software natürlich noch immer in der Entwicklung. VR ist bereits alltagstauglich, AR benötigt noch etwas mehr Zeit, gerade bei den AR-Brillen. Dadurch ist es bspw. noch nicht möglich, ein gesamtes Gebäude mit jedem einzelnen Teil als konfigurierbares Modell auf eine AR-Brille zu laden. Durch den begrenzten Speicher und die Rechenleistung treten hier Grenzen auf. Es muss jedoch ohnehin nur geladen werden, was auf der gleichen Ebene wie der Nutzer bzw. in dessen Sichtfeld liegt.

Vor allem bei längeren zurückgelegten Strecken oder viel Bewegung beginnen Objekte in AR irgendwann, zu driften und bewegen sich von ihrem eigentlichen Bestimmungsort weg. Schließlich ist die Software die gesamte Zeit über bei jeder Bewegung damit beschäftigt, nachzuberechnen.

Zukunft von AR in der Baubranche

Momentan ist der Preis noch eine der größten Hemmschwellen für den breiten Einsatz von VR und AR. Mehrere tausend Euro für eine AR-Brille sind für den Privatverbraucher natürlich nicht leistbar. Hier liegen ihre Hoffnungen vor allem auf den großen Elektronik-Riesen. Nur sie können eine solche Technologie auch für die breite Masse nutzbar und leistbar machen.

Christian und Harald sind sich einig darüber, dass die AR-Brille die günstigere Handy- oder Tablet-Lösung auf Dauer überflügeln wird. Gerade auf der Baustelle macht es mehr Sinn, wenn die Arbeitenden beide Hände frei haben.

Die Baubranche selbst bremst den technologischen Fortschritt wie so oft etwas ab. Christian erzählt uns, dass vor einigen Jahren die Programmierer ihrer AR-Brillen sehr enthusiastisch gewesen waren, dann aber schnell eines Besseren belehrt wurden.

  • "Sie meinten, in fünf Jahren trägt jeder auf der Baustelle so eine Brille. Dann habe ich gesagt: Du kennst die Baubranche nicht."

Einige größere Bauunternehmen in Österreich arbeiten bereits testweise mit AR und manche mittelständische legen ebenfalls langsam ihren Fokus darauf. Allerdings dauert es in einer so konservativen Branche wie dem Bauwesen sicher noch einige Zeit, bis sich diese Technologie durchzusetzen beginnt. Vor allem müssen die Produkte dann auch direkt funktionieren, um vor den skeptischen Augen bestehen zu können. Bei den Brillen zumindest, so unsere Gäste, dauert es bis dahin noch ein wenig.

Künftigen Ingenieuren würden sie raten, sich mehr zu trauen. Sich auch zu trauen, Fehler zu machen und dann daraus zu lernen. Haralds Wunsch wäre, dass sich Interessierte tatsächlich vernetzen, um Probleme gemeinsam zu lösen. Jede Firma entwickelt eine eigene Lösung, alle haben die gleichen Probleme und niemand redet miteinander. Eine Community aus IT-lern und Ingenieuren könnte sich, gerade wenn es um neue Technologien geht, untereinander austauschen.

Christian merkt an: Digitale Kompetenzen werden immer wichtiger, aber man darf auch den Umgang mit Menschen nicht vergessen.

  • "Das kritische Hinterfragen kann uns keine KI abnehmen."

Da hat er auf jeden Fall recht! Kommunikation und das Nachfragen, um sein Wissen weiter auszubauen, spielen nach wie vor eine große Rolle im Bauwesen. AR und VR werden die Baubranche also definitiv evolutionieren. Dank dieser Technologien entwickelt sich das Ingenieurwesen immer weiter und der Fortschritt wird letztendlich kommen. Wann genau? Das bleibt abzuwarten. Unsere Hoffnung liegt auf jeden Fall in der weiteren Forschung und Entwicklung der nächsten Jahre.

Christian und Harald, was ist euer Lieblingsbauwerk?

Christian muss nicht lange nachdenken. Für ihn ist das schönste Bauwerk, das er jemals gesehen hat, ganz klar die Golden Gate Bridge als regelrechtes Monument der Ingenieurskunst.

Für Harald nimmt der Eiffelturm einen wichtigen Platz in seinem Herzen ein. Für die damalige Zeit war sein Bau wirklich herausragend – im wahrsten Sinne des Wortes. Wir können beides absolut nachvollziehen. Vielen Dank an euch beide, dass ihr bei uns zu Gast wart!


Autor

Frau Ruthe ist im Marketing als Copywriterin zuständig für die Erstellung kreativer Texte und packender Headlines.