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5. Dezember 2023

Bauzustand/ Temporärer Zustand

Wie bereits im Kapitel Formfindungsprozess beschrieben, hat die Steifigkeit der Gesamtkonstruktion einen Einfluss auf die Formfindung.

Es ist in RFEM 6 möglich, temporäre Zustände, oder auch Bauzustände im Zusammenhang mit der Formfindung zu verwenden. Dies kann sehr hilfreich sein, um die reale Montage, oder auch reale Bauabläufe abzubilden.

Grundsätzlich sind 2 Varianten möglich, um temporäre Zustände zu modellieren:

Um beide Varianten zu vergleichen verwenden wir eine bogengestützte Membran als Beispielmodell. Die Konstruktion umfasst drei Membranfelder und vier Stahlbögen. Die Membranen sind seitlich an die Träger angeschlossen und am unteren Rand verankert, die Stahlbögen in den Baugrund eingespannt.

Im originalen Modell werden die Stahlbögen nicht durch Montagestützen gehalten. Die Stahlbögen gehen in den Formfindungsprozess ein. Sie bilden nachgiebige Randbedingungen für die Membranflächen. Die Membranen werden mit der definierten Vorspannung versehen, der die Träger zu widerstehen haben. Aus dem Formfindungsprozess ergibt sich so nicht nur die vorgespannte Form der Membranflächen, sondern auch die verzerrte Form und die Schnittgrößen der biegesteife Teilen der Konstruktion. Die Stahlbögen werden unter der Belastung aus den Membranen entsprechend ihren Steifigkeiten verformt.

Exemplarisch wird für jedes Feld eine andere Vorspannung vorgesehen. Für das erste Feld wird eine isotrope Vorspannung von nx = ny = 1 kN/m, für das zweite und dritte eine orthotrope Vorspannung vorgegeben. Die Vorspannung im zweiten Feld beträgt nx = 1 kN/m und ny = 2 kN/m, während für das dritte Feld eine Vorspannung von nx = 2 kN/m und eine von ny = 1 kN/m definiert werden.

Für das originale Modell ergeben sich im Vorspannungslastfall Verformungen sowie Schnittkräfte für die Stahlbögen:

Um den Montagezustand abzubilden, erhält das modifizierte Modell Montagestützen unter den Stahlbögen. Diese werden vereinfacht als Linienlager abgebildet.

Definieren von Strukturmodifikationen

Info

Eine Strukturmodifikation ermöglicht es, Steifigkeiten von Materialien, Objekten und Objekttypen individuell anzupassen. Ferner lassen sich ausgewählte Objekte oder nichtlineare Objekteigenschaften für die Berechnung deaktivieren.

Wie bereits beschrieben, enthält das modifizierte Modell Linienlager, die die Stahlbögen abstützen und lediglich im Vorspannungslastfall wirken. Diese Linienlager werden über eine Strukturmodifikation für die Lastkombinationen deaktiviert. Dies kann bequem im Kombinationsassistenten für die Generierung von Lastkombinationen ergänzt werden.

Die Linienlager sind dann nur während des Formfindungsprozesses aktiv; für andere Lastkombinationen werden sie nicht berücksichtigt (analog zum Entfernen von Montagestützen). Alle Lasten, denen die Lager für die Formfindung zu widerstehen hatten, werden dann von den Stahlbögen aufgenommen.

Für das modifizierte Modell ergeben sich im Vorspannungslastfall keine Verformungen sowie Schnittkräfte für die Stahlbögen:

In der Lastkombination 1 werden die Montagestützen entfernt. Zusätzlich wirkt das Eigengewicht auf die formgefundene Struktur. Da die temporären Lager in diesem Schritt deaktiviert werden, übernehmen die Träger sämtliche Lasten und verformen sich. Die Verformung der Träger wirkt sich auch auf die Vorspannung in den Membranen aus:

Arbeiten mit Bauzuständen (Add-On Analyse von Bauzuständen (CSA))

Info

Mit dem Add-On Analyse von Bauzuständen (CSA) kann in RFEM der Bauablauf von Strukturen berücksichtigt werden. Es können Strukturelemente über den Bauablauf hinweg hinzugefügt, entfernt und modifiziert werden. Das Aufbringen der Lasten und die Kombinatorik kann ebenfalls über die Bauzustände hinweg berücksichtigt werden.

Auch hier enthält das modifizierte Modell Linienlager, die die Stahlbögen abstützen und lediglich im Vorspannungslastfall wirken. Diese Linienlager werden im Bauzustand 2 deaktiviert.

Die Linienlager sind dann nur während des Formfindungsprozesses (Bauzustand 1) aktiv; für andere Bauzustände werden sie nicht berücksichtigt (analog zum Entfernen von Montagestützen). Alle Lasten, denen die Lager für die Formfindung zu widerstehen hatten, werden dann von den Stahlbögen aufgenommen.

Für das modifizierte Modell ergeben sich im Vorspannungslastfall keine Verformungen sowie Schnittkräfte für die Stahlbögen:

Im Bauzustand 2 werden die Montagestützen entfernt. Zusätzlich wirkt das Eigengewicht auf die formgefundene Struktur. Da die temporären Lager in diesem Schritt deaktiviert werden, übernehmen die Träger sämtliche Lasten und verformen sich. Die Verformung der Träger wirkt sich auch auf die Vorspannung in den Membranen aus:

Zusammenfassung

Tipp

Es ist individuell abzuschätzen, welche Variante der vorgesehenen Montage der Konstruktion besser entspricht.

Werden während der Montage keine Montagestützen für die eingespannten Bögen verwendet, verformen sie sich beim Anspannen. Dies entspricht dem Formfindungsprozess ohne Einsatz von temporären Lagern. Die Vorspannung, die nach dem Anspannen der Konstruktion vorliegt, entspricht der aus dem Formfindungsprozess resultierenden Vorspannung.

Werden hingegen die Träger während des Anspannens der Membran von Montagelagern gestützt, kann dies durch temporäre Zustände simuliert werden. Nach dem Anspannen der Membran treten in den Montagestützen Lagerreaktionen auf. Nach dem Beseitigen der Montagelager haben die Stahlbögen diesen Kräften zu widerstehen und werden verformt. Die Schnittgrößen in der Membran erfahren folglich eine Änderung. Das entspricht dem Formfindungsprozess, der an der von temporären Lagern gestützten Konstruktion nach dem Starten eines leeren Lastfalls erfolgt. Da die temporären Lager in diesem Schritt deaktiviert werden, übernehmen die Träger sämtliche Lasten und verformen sich. Die Verformung der Träger wirkt sich auch auf die Vorspannung in den Membranen aus. Diese in RFEM durch Deaktivieren der temporären Lager hervorgerufene Zustandsänderung entspricht dem Prozess der Entfernung von Montagestützen.

Das Add-On Analyse von Bauzuständen (CSA) bietet mehr Flexibilität, als das Arbeiten mit Strukturmodifikationen.

Info

Das effiziente Zusammenspiel der Bauzustände mit der Formfindung kann in diesem Webinar gut nachvollzogen werden.

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