Lineare Verzweigungslastanalyse mit der Finite-Streifen-Methode (FSM)
Fachbeitrag
Um den Einfluss lokaler Stabilitätsphänomene schlanker Bauteile bewerten zu können, bieten RFEM 6 und RSTAB 9 die Möglichkeit eine lineare Verzweigungslastanalyse auf Querschnittsebene durchzuführen. Der folgende Beitrag widmet sich den Grundlagen der Berechnung sowie der Ergebnisinterpretation.
Bei dünnwandigen Bauteilen aus Stahl ist neben dem globalen Stabilitätsversagen (Knicken, Drillknicken, Biegedrillknicken) auch das lokale Stabilitätsverhalten des Querschnittes zu untersuchen. Hierbei wird in der EN 1993-1-3 [1] zwischen zwei Arten unterschieden:
- Lokales Beulen: Gekennzeichnet durch das Beulen einzelner Querschnittsteile aus ihrer Ebene wobei eine gelenkige Lagerung der Querschnittsecken angenommen wird. Diese Stabilitätsform wird in der EN 1993-1-5 [2] als Plattenbeulen beschrieben.
- Gesamtfeldbeulen/Forminstabilität: Gekennzeichnet durch das Ausweichen der Randversteifung eines Querschnittes. Gleichzeitig kommt es bei benachbarten Querschnittsteilen zu Verformungen in und aus der Ebene.
In RFEM 6 und RSTAB 9 lassen sich die Verzweigungslastfaktoren und Eigenformen für die genannten lokalen Stabilitätsphänomene unter Einheitsbeanspruchung berechnen. Es handelt sich bei der Berechnung um eine lineare Stabilitätsanalyse auf Grundlage der „Constrained Finite Strip Method (cFSM)“ [3]. Die Ergebnisse der Finite-Streifen Berechnung sind für alle dünnwandigen Querschnitte im Dialog „Querschnitte bearbeiten“ abrufbar. Über das Dropdown-Menü unterhalb der Querschnittsdarstellung lassen sich neben Einheitsspannungen und weiteren Querschnittsfunktionen die Knickfiguren infolge Einheitsbelastung auswählen (Bild 1).
Wird eine der Einheitsbelastungen ausgewählt, öffnet sich das interaktive Diagramm „Ergebnisse der Finite-Streifen-Methode“. Die dargestellte blaue Kurve gibt die minimale Verzweigungslast in Abhängigkeit der zugehörigen Beul-Halbwellenlänge dar. Die Ergebnisse lassen sich auch getrennt für die unterschiedlichen Stabilitätsformen lokales Beulen, Forminstabilität und globales Stabilitätsversagen (bei Annahme eines gabelgelagerten Einfeldträgers) darstellen (Bild 2).
Zu beachten ist, dass nur die erste (einwellige) Eigenform der jeweiligen Stabilitätsform bei der Stabilitätsanalyse berücksichtigt wird. Die ermittelten Verzweigungslasten gelten allerdings auch für Vielfache der zugehörigen Halbwellenlängen. Dies lässt sich anhand einer Vergleichsrechnung mit Schalenelementen und dem Add-on Strukturstabilität zeigen. Für das untersuchte C-Profil mit einer Länge von 0,141 m ergibt sich hier eine Verzweigungslast von -90,47 kN was sehr gut mit dem Ergebnis der FSM von -89,85 kN übereinstimmt (siehe Bild 2). Bei einer Verdoppelung der Länge auf 0,282 m verdoppelt sich auch die Anzahl der Beulen bei mehr oder weniger gleichbleibender Verzweigungslast (-91,68 kN). Für die Ermittlung der maßgebenden Verzweigungslasten der lokalen Stabilitätsphänomene (lokales Beulen und Forminstabilität) sollten daher auf der sicheren Seite stets die jeweiligen Minima der ermittelten Grenzkurven berücksichtigt werden.
Die Verformungen des Querschnitts, die mit einer berechneten Verzweigungslast einhergehen, können in der Querschnittsgrafik angezeigt werden. Standardmäßig wird die Eigenform, die zum ersten lokalen Minimum der Verzweigungslastkurve gehört, angezeigt. Durch „Anklicken“ eines beliebigen Datenpunktes im Diagramm wird die Darstellung automatisch aktualisiert. Die in Bild 4 gezeigten Eigenformen zeigen eindrücklich den Einfluss der jeweiligen Stabilitätsformen auf die ermittelte Verzweigungslast auf. Während in Punkt a das lokale Beulen dominiert, ist die Eigenform in Punkt b von der Forminstabilität geprägt. In Punkt c ist hingegen eine Starrkörperbewegung des Querschnittes zu erkennen, die mit dem globalen Stabilitätsversagen einhergeht (hier Biegedrillknicken).
Die Ergebnisse der FSM ermöglichen eine erste Bewertung des Stabilitätsverhaltens schlanker Querschnitte und geben einen Hinweis, ob das Stabilitätsversagen durch eine lokale, die globale oder eine Interaktion beider Stabilitätsformen dominiert wird. Die ermittelten Verzweigungslastfaktoren können außerdem verwendet werden, um die Grenztragfähigkeit schlanker Profile gemäß EN 1993-1-3 [1] oder AISI S100-16 [4] zu berechnen.
Autor

Jonas Bien, Dr.-Ing.
Product Engineering & Customer Support
Herr Dr. Bien betreut die Entwicklung im Bereich Stahlbau und unterstützt unsere Anwender im Kundensupport.
Schlüsselwörter
Stahlbemessung Stabilitätsbemessung Lokales Beulen
Literatur
Schreiben Sie einen Kommentar...
Schreiben Sie einen Kommentar...
- Aufrufe 1266x
- Aktualisiert 20. Juni 2023
Kontakt
Haben Sie Fragen oder brauchen Sie einen Rat? Kontaktieren Sie uns über unseren kostenlosen E-Mail-, Chat- bzw. Forum-Support oder nutzen Sie die häufig gestellten Fragen (FAQs) rund um die Uhr.

Neu
Bemessung eines Vollwandträgers nach AISC 360-16 in RFEM 6
Der Einsatz von Vollwandträgern ist oft eine wirtschaftliche Entscheidung beim Bau mit großen Spannweiten. Vollwandträger aus Stahl mit I-Profil haben typischerweise einen hohen Steg, sodass die Schubtragfähigkeit sowie der Abstand zwischen den Flanschen möglichst groß ist, aber einen dünnen Steg, um das Eigengewicht zu verringern. Aufgrund des großen Höhe-Dicke-Verhältnisses (h/tw können Quersteifen erforderlich sein, um den schlanken Steg auszusteifen.
- Kann ich im Add-On Stahlbemessung Stäbe mit Querschnitten der Klasse 4 nach CSA S16 bemessen?
- Wie können Flächen an anderen Flächen bzw. Stäben gelenkig/nachgiebig angeschlossen werden? Was sind Liniengelenke und Linienfreigaben?
- Wie kann ich meinen RSECTION-Querschnitt in RFEM 6/RSTAB 9 importieren?
Produkte zu diesem Thema