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13. Juli 2022

Das Unglück, das Bad Reichenhall für immer verändert

Obwohl es ein normaler Tag zu sein scheint, verändert der 2. Januar 2006 vieles in der Stadt Bad Reichenhall. Nach tagelangem Schneefall stürzt die Eishalle ein, die 15 Menschen mit in den Tod reißt. Wie konnte diese Dachkonstruktion aber ohne Vorwarnung versagen und wer ist dafür verantwortlich?

1972 finden in München die Olympischen Spiele statt. In diesem Zuge wird in Bad Reichenhall eine Schwimm- und Eislaufhalle erbaut. Über Jahrzehnte können Sportbegeisterte das Freizeitangebot ohne Probleme nutzen. Am 02. Januar 2006 kommt es jedoch zu einem tragischen Unglück, das nicht nur die Einheimischen schockiert.

Es schneit schon seit Tagen in dieser Zeit zwischen den Jahren 2005 und 2006. Die Struktur des Gebäudes ist mittlerweile über 30 Jahre alt. Zweifel werden laut, ob die Konstruktion den Schneemassen überhaupt noch standhält. Aus diesem Grund untersuchen Statiker zur Mittagszeit das Gebäude. Das Schneegewicht liegt aber laut den Experten unter der tolerablen Grenze. Es besteht kein Grund zur Sorge. Trotzdem sagen die Verantwortlichen das Eishockeytraining am Abend sicherheitshalber ab. Nach dem Publikumslauf um 16:00 Uhr soll die öffentliche Eisfläche komplett gesperrt werden.

Zu diesem Zeitpunkt befinden sich noch etwa 50 Personen in der Halle. Wenige Minuten vor dem Ende des Laufes, um 15:55 Uhr, kommt es zu einer schlimmen Tragödie. Ohne Vorwarnung versagt die Dachkonstruktion. Das gesamte Dach über der Eishalle stürzt mit den Schneemassen auf die Eisfläche. Die Uhrzeit wissen wir so genau, weil in dem Moment die Stadionuhr stehen bleibt. Viele Zeugen sagten zusätzlich über diese schreckliche Tat aus.

Die Decke begräbt drei Erwachsene und zwölf Kinder unter sich. Alle sind aufgrund der Konstruktion und nicht wegen Unterkühlung gestorben. Weitere 34 Personen werden zum Teil schwer verletzt. Insgesamt dauern die Bergungsarbeiten zwei Tage. Auf die Anweisungen eines Statikers hin müssen sie aber erst noch einmal unterbrochen werden, um Sicherungsmaßnahmen an eingestürzten Dachteilen und Außensäulen vorzunehmen. Zudem muss die Tiefgarage zusätzlich abgestützt werden. Die Helfer dürfen natürlich auch nicht zu Schaden kommen.

Die Halle war schon längst sanierungsbedürftig. Dieser Beschluss war aber noch nicht getroffen, weil es Wahlkampfthema der Bürgermeisterwahl ist. Sie hätte einen Monat später stattfinden sollen. Die Dachkonstruktion bestand aus Hohlkasten-Trägern als Hauptträger mit rechtwinklig sehr steifen Ausfachungen. In der heutigen Zeit würde man Brettschichtholzbinder verwenden. Die Schäden sind bei einem Hohlkasten von außen kaum erkennbar.

Es kommt zu einem langwierigen Prozess. Schlussendlich wird der Statiker für die Planung des Daches verurteilt. Wegen fahrlässiger Tötung bekommt er eine Bewährungsstrafe von 18 Monaten. Den zuständigen Sachverständigen und Architekt hat das Gericht freigesprochen.

Deutschlandweit kommt es zu Untersuchungen der Sicherheit von Gebäuden. Zahlreiche Bauwerke wurden in dem Zuge abgerissen oder gesperrt. Dazu zählen zum Beispiel das Delphinarium im Zoo Duisburg, bei dem das Dach kritische Werte aufwies.

Das Eisstadion in Wiehl wird auch geschlossen, nachdem die Verantwortlichen Risse gefunden hatten. In diesem Zuge hat das bayerische Innenministerium Hinweise zur Standsicherheit ausgearbeitet. Sie verfassten ein Merkblatt zum Umgang mit Schnee auf Dächern.

Die Halle wird ein Jahr nach der Katastrophe komplett abgerissen. Heute ist der Platz immer noch unbebaut. Es wurde eine Gedenkstätte für die Todesopfer errichtet. 15 Glasstelen erinnern an die verstorbenen Menschen.

Bilder können unter diesem Link eingesehen werden https://www.spiegel.de/fotostrecke/bad-reichenhall-einsturz-der-eissporthalle-2006-fotostrecke-50668.html

Ist bei dieser furchtbaren Katastrophe aber nur der Schnee schuld? Wurde sie auch noch durch andere Faktoren herbeigeführt?

In der ersten Stellungnahme sprechen die Verantwortlichen über eine Überlastung der Tragstruktur wegen der andauernden Schneefälle. Es stellte sich jedoch schnell raus, dass diese Spekulationen unzutreffend sind. Die gemessenen Schneelasten waren ungefähr 1,40 bis 1,50 Meter. Das liegt aber noch in der Größenordnung der rechnerisch angesetzten Lasten.

Das Gutachten von damals lässt viele Schlüsse auf den Tathergang zu. Wie schon gesagt, wurden Kastenträger verbaut. Die hatten eine seitliche Beplankung aus Kämpfstegplatten, Massivholzplatten aus drei Brettlagen, die miteinander verleimt sind. Die Ober- und Untergurte der Binder konnten nicht in einer Länge gefertigt werden. Das Problem dabei ist, dass es keine geprüfte statische Berechnung für die ausgeführte Dachkonstruktion gibt. Die Träger wurden abweichend der Zulassung hergestellt, denn die Höhe ist mehr als 1,25 Meter. Dafür gab es keine Zustimmung im Einzelfall. Zudem kommen noch Fehler in der statischen Berechnung hinzu, weil die zulässigen Spannungen im Wesentlichen überschritten wurden. Es kommen aber noch weitere Mängel hinzu. Die Regenrohre wurden unmittelbar neben dem Auflager durch die Träger geführt. Durch unzureichende Nagelpressverklebungen zwischen dem Gurt und den Stegplatten kommt es zu sehr großen Nagelabständen. Die Halle wurde von allen Seiten nachträglich geschlossen.

So wurde es aber nicht geplant, deshalb veränderten sich die Umgebungsbedingungen. Die Feuchtebeanspruchung hat sich dadurch erhöht. Aber die bauphysikalischen Änderungen wurden nicht untersucht. Durch diese ständige Feuchteeinwirkung gibt es Schädigungen an der Harnstoffharz-Verklebung.

Nicht ein einziger Fehler, sondern viele aufeinandertreffende Mängel führten im Endeffekt zu dieser Katastrophe. Zusammengefasst stellten die Gutachter nämlich vier große Fehlergruppen fest:

• Formale Fehler,

• Planungsfehler,

• Ausführungsfehler,

• Wartungsfehler.

Wer muss sich für diese Fehler verantworten?

In einem langen Prozess wollen die Richter Klarheit schaffen. Wer muss sich für dieses Ereignis verantworten? Der Bauingenieur bzw. Statiker lieferte eine mangelhafte statische Berechnung. Die Bauherren und Architekten akzeptierten den Vorschlag einer Sonderkonstruktion. Allerdings wurde diese niemals vom Prüfingenieur geprüft. Darauf hätte aber auch die Stadt Bad Reichenhall hinweisen müssen. Weil die verwendete Bauweise nicht dem Zulassungsbescheid entsprach, wurde der Statiker schlussendlich auf 18 Monate Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Die Sachverständigen und den Architekten sprach die Anwaltschaft frei. Sie waren allerdings angeklagt, weil die nicht geprüfte Statik durch Kontrollen hätte auffallen müssen. Bei der bautechnischen Untersuchung fiel der ungeeignete Holzleim auf. Wie schon erwähnt, wurde die Halle einfach verschlossen. Trotzdem kam ein Leim auf Harnstoffbasis zum Einsatz. Die Klebewirkung lässt unter der Einwirkung von Feuchtigkeit bei dieser Variante nach. Geeigneter wäre ein Resorcinharzleim gewesen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre es damit nicht zu einem Einsturz gekommen. Aus diesem Grund ist es auch nicht verständlich, warum die Anklage gegen die Verantwortlichen fallen gelassen wurde.

Sind diese Mängel ein Einzelfall?

Im Zuge dieses Ereignisses wurden weitere Hallen untersucht. Die oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Inneren hat verfügt, dass sämtliche Eissporthallen in Holzbauweise unverzüglich zu überprüfen seien. Man kam zu ähnlichen Ergebnissen, woraufhin einige Gebäude abgerissen und gesperrt wurden. Die Gründe waren Risse in Holz- und Klebefugen, Fäule, aber auch Versagen von Verbindungen. Harnstoffleime sind für tragende Holzbauteile inzwischen verboten. Nicht einsehbare Hohlkastenquerschnitte in Holzbauweise sind nach dem heutigen Stand der Technik überholt und sollten daher nicht verwendet werden.

Was hat man aus dieser Katastrophe gelernt?

Mit einer Bauwerksdiagnose werden die Bauwerke von qualifiziertem Personal auf Schäden untersucht. Diese sollte in bestimmten Zeitabständen vom Eigentümer veranlasst werden. Bauwerke ab einer gewissen Größe müssen regelmäßig begutachtet werden. Bei einer Versammlungsstätte mit mehr als 5000 Personen sollte zum Beispiel alle ein bis zwei Jahre eine Begehung stattfinden. Die Planer sollen die Tragstruktur so wählen, dass beim Versagen eines Bauteiles nicht die gesamte Konstruktion einfällt, sondern nur Teile. Sinnvollerweise sollte die Dachhaut das schwächste Glied in der Tragstruktur sein. So wird bei einer tatsächlichen Überlastung, durch zum Beispiel Schnee oder Eis, nur ein begrenzter Teil der Dachfläche versagen.

Eine bessere Prüfung bzw. Bauüberwachung ist durch den Prüfingenieur bzw. Prüfsachverständigen in verschiedenen Landesbauordnungen verankert. In einer Bescheinigung muss abschließend die korrekte Ausführung des Bauwerkes bestätigt werden.


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