Der strenge Brandschutz in Deutschland wird oft belächelt. Wie verheerend ein Brand wirken kann, zeigt u.a. das Beispiel des Düsseldorfer Flughafens, über das wir bereits in einer früheren Folge gesprochen haben. Nicht zuletzt dieses Ereignis hat die strengen Vorschriften nachhaltig geprägt. Selbst Restaurants müssen schließen, wenn sie den Anforderungen nicht gerecht werden. Wir haben vor allem eine Frage an den Brandschutzexperten Reinhard Eberl-Pacan: Muss der Brandschutz wirklich so streng sein?
Wer ist Reinhard Eberl-Pacan?
Der ausgebildete Journalist studierte Architektur in Berlin. Das Ziel: Etwas Sinnvolles zu lernen, über das er am Ende mit fundiertem Fachwissen schreiben konnte. Soweit zumindest der Plan. Die schlechte Auftragslage um 2004/2005 zwang ihn dazu, sich zu spezialisieren, doch in welche Richtung? Nach A wie Architektur entschied er sich für B wie Brandschutz – ein Bereich, der doch etwas anders und vor allem vielseitiger war, als er gedacht hätte.
Relativ schnell begann er, sich für nachhaltiges Bauen zu interessieren. Schon 2004 war vielen klar, dass bei Betonbauten sogenannte graue Energie verbraucht wird, die nicht zurückgewonnen werden kann. Sie ging einfach verloren. Er fand sein Thema: Mit Holz wird nicht viel gebaut, obwohl es nachhaltig ist. Woran liegt das? Meistens tatsächlich am Brandschutz. Einerseits sollte nachhaltig gebaut werden, andererseits muss es natürlich langfristig sicher sein. Wie kann man das erreichen?
Vorbeugen als goldene Regel
Wo liegt hier der Unterschied zum „normalen“ abwehrenden Brandschutz? Unser Gast macht es kurz: Der vorbeugende Brandschutz sorgt dafür, dass es bestenfalls gar nicht erst brennt. Der abwehrende Brandschutz greift dann ein, wenn es brennt.
Viele vorbeugende Maßnahmen fallen uns im Alltag kaum auf. Die Dicke der Wände, damit diese dem Feuer im Zweifelsfall 90 Minuten standhalten, ein Treppenhaus als möglichst rauchfreier Fluchtweg im Ernstfall – Hier erfüllt der bauliche Brandschutz wichtige Aufgaben. Auch Brandwarnanlagen wie Rauchmelder oder Sprinkleranlagen gehören als anlagentechnischer Brandschutz natürlich dazu.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist der organisatorische Brandschutz. Brandschutzbeauftragte kümmern sich um den Schutz in Krankenhäusern, Schulen, Versammlungsstätten und anderen Sonderbauten. Sicher kennt jeder noch die Brandschutzübungen in Schulzeiten, oft ein- oder mehrmals im Jahr.
Brandschutz ist Ländersache
Die Bauordnung ist das oberste Gesetz und Baurecht ist Landesrecht. Dabei beschäftigen sich bis zu 80 Prozent der Bauverordnungen mit dem Thema Brandschutz. Davon abgeleitet wird die sogenannte Sammlungsstättenverordnung, die sich mit den speziellen Gefahren von bspw. Kinos, Theatern und Ausstellungshallen beschäftigt. Die Bauordnung selbst beschreibt das „normale“ Gebäude, wie Wohnhäuser oder Büros. Steht in der Bauordnung als Anforderung für das Baumaterial „nicht brennbar“, fällt Holz natürlich von Vornhinein als Baustoff heraus.
Je nach Gefährlichkeit des Gebäudes wird in verschiedene Gebäudeklassen unterteilt, von eins bis fünf. Eins ist ein Einfamilienhaus und fünf ein typisches Berliner Mietshaus. Je größer und je höher ein Gebäude ist, desto höher werden die Anforderungen an die Gebäudeklasse. Durch die unterschiedlichen Vorschriften je nach Bundesland wird die Planung unnötig kompliziert. Nicht nur gibt es in Deutschland 16 verschiedene Bauordnungen – Sie ändern sich auch ständig. Du planst in Berlin ein Gebäude für Baden-Württemberg? So etwas wird schnell zum Problem. Die Verordnungen sind nicht nur unterschiedlich, sie heißen oft auch anders oder stehen dort, wo du sie nie vermuten würdest.
In Bayern ist das Rettungsfenster beispielsweise seit mindestens 50 Jahren wesentlich kleiner als in den anderen Bundesländern. Da fragt man sich: Wieso? In Bayern ist man schlicht nicht bereit, das zu ändern. Jedes Land hat das Recht, für sich zu entscheiden und meistens steht hinter diesen Entscheidungen mehr Sturheit als Sinn.
Wie häufig sterben Menschen in Deutschland bei Bränden?
Herr Eberl-Pacan weist darauf hin, dass Deutschland wirklich für alles eine genaue Statistik führt, aber bei solchen Dingen nicht. Außerdem: Auch hier ist es Ländersache. In Brandenburg gibt es keine solche Statistik, in Berlin schon. Wer gilt als Brandtoter? Jemand, der im Feuer ums Leben kam oder erst an den Spätfolgen verstarb? Schätzungen zufolge sterben etwa 400 Menschen jährlich bei Bränden in Deutschland. Laut vorhandenen Statistiken haben Maßnahmen wie die Rauchmelderpflicht sich bereits bewährt. Deutschland ist da international gesehen auf einem guten Niveau mit Luft nach oben.
Verschärfter Brandschutz ≠ mehr Sicherheit
Wie bei einer Kette ist auch beim Brandschutz das schwächste Glied ausschlaggebend. Alle Anforderungen der einzelnen Bereiche (baulicher, organisatorischer und anlagentechnischer Brandschutz) müssen ausgeglichen sein. Wenn viel zusätzlich in nicht brennbares Material investiert wurde, aber kein Rauchmelder installiert ist, bringt das den Menschen im Brandfall wenig.
Der Feuerwiderstand von mindestens 90 Minuten kostet sehr viel Geld. Ein Feuermelder dagegen ist günstig. Wird das Feuer nicht rechtzeitig bemerkt, steht das Gebäude nach einer Stunde bereits in Vollbrand. Die zusätzlichen 30 Minuten machen da auch nichts mehr aus. Bei erfolgreicher Warnung haben Bewohner nach 15 Minuten das Gebäude verlassen und unsere Feuerwehren sind gut ausgebildet. Innerhalb von 30 Minuten haben sie Brände in der Regel im Griff. Wozu also diese 90 Minuten? Viel eher sollte nicht in das Baumaterial, sondern in Warnmelde-Anlagen investiert werden.
Brandgefährliches Berlin?
Laut Statistiken ist der Brandschutz in Berlin am niedrigsten. Die Wohnhäuser dort haben vergleichsweise die schlechteste Statistik. Auf der anderen Seite sind Schulen sind sehr sicher. Wieso ist das so?
Darauf hat unser Gast keine eindeutige Antwort. Statistiken sind schließlich immer mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Nicht alle Regionen führen solche Statistiken wirklich ordentlich. Außerdem sind die Gebäude in Berlin oft alt und auch Bestandsgebäude. Historisch bedingt ist die Anzahl der Mängel einfach höher. Wenn im Keller ein Brand ausbricht, halten die alten Türen dem selten stand und das komplette Treppenhaus wird verraucht. Oft leben in solchen älteren Häusern auch ältere Menschen und statistisch gesehen kommt es gerade in diesen Haushalten öfter zu Bränden.
Baustoff Holz als Geheimwaffe gegen Brände
Zum Thema Holzbau und Brandschutz holt Herr Eberl-Pacan ein wenig aus. Im Mittelalter fielen ganze Städte Großbränden zum Opfer. Der Grund: Es wurde viel mit Holz gebaut. Also ist Holz schlecht für den Brandschutz? Schließlich brennt es ja. Auch während des Zweiten Weltkriegs sind durch Bombeneinschläge viele Dachbrände entstanden, die sich schnell ausgebreitet haben. Woraus besteht ein Dachstuhl meistens? Aus Holz!
Was viele schlicht nicht wissen oder nicht bedenken: Holz brennt, aber es brennt sehr berechenbar.
Es ist wie mit einem Lagerfeuer. Wirf ein großes Stück Holz hinein und – nichts. Da brennt erst einmal gar nichts, denn Holz benötigt immer ein sogenanntes Stützfeuer. Explosionen beispielsweise sorgen dagegen für eine große Hitze, wodurch sich das Feuer im Holz weiter entzündet und die Temperaturen steigen.
Hier kommt es vor allem auf den Abbrand an, also darauf, was tatsächlich über eine bestimmte Zeit an Material abbrennt. Die Lösung beim Holzbau ist einfach: Baue so, dass es einen statischen Kern gibt, damit das Gebäude im Brandfall nicht einstürzt. Um diesen Kern wird eine Schicht Opferholz gelegt. Dieses brennt dann in 30, 60 oder 90 Minuten weg – ohne dass der innere Kern beschädigt wird. In einer Minute brennt ungefähr ein Millimeter weg. Bei 9 Zentimeter Opferholz erreicht das Feuer den Kern also erst nach 90 Minuten. Bis dahin sollte ein Brand ohne Probleme gelöscht sein – Der statische Kern ist noch immer intakt und damit tragfähig.
Brandschutz bei Beton und Stahl
Hier fehlt laut unserem Gast leider die Berechenbarkeit. Er führt das für uns näher aus. Beton hat einen hohen Feuerwiderstand, wie ein breiter Rücken, den er den Flammen hinhält. Kommt das Feuer dann mit aller Kraft, wird es so stark, dass das Bauwerk einfach zusammenbricht. Höhere Temperaturen und eine längere Branddauer führen dazu, dass Beton sehr unkontrolliert auseinanderbricht. Das kann natürlich schnell gefährlich werden.
Stahl dagegen wird bei Hitze relativ schnell weich, wenn er nicht geschützt ist. Anstatt seine Form zu behalten, verformt er sich eher zu einer Art abstraktem Kunstwerk, das alles ist, aber nicht mehr tragfähig. Holz ist dagegen ein intelligenter Baustoff, der sich selbst hilft. Wir können genau berechnen, wie lange er dem Feuer standhält.
Zukunft des Brandschutzes: Früherkennung und Frühbekämpfung
Wir haben unseren Gast gefragt, wie er die Entwicklung des Brandschutzes sieht. Dazu hat er eine, wie wir finden, sehr gut durchdachte Antwort. Gerade die technische Entwicklung birgt viel Potenzial. Leider hat die Baubranche, wie so oft, den Startschuss zur Weiterentwicklung verschlafen. Doch es gibt Hoffnung. Herr Eberl-Pacan weist hier auf gradient technologies hin. Das sind zwei kluge Köpfe, die den Rauchwarnmelder mit einem kleinen Löschsystem kombinieren wollen. Wie das funktioniert?
Wir rüsten Gebäude aktuell so aus, dass der Brand eingeschränkt wird, nachdem er sich in einer Wohnung bereits ausgebreitet hat. Viel sinnvoller und ressourcenschonender wäre es, einen Brand gar nicht erst entstehen zu lassen. Hier greift das System von gradient technologies.
Eine kleine eingebaute Kamera kann durch künstliche Intelligenz unterscheiden, ob irgendwo eine kleine Kerze brennt oder etwas sich zu einem großen Brand entwickeln kann. Ein Brand wird erst gefährlich, wenn er sich ausbreitet und hohe Temperaturen im Spiel sind. Wird ein kleiner Brandherd also sofort automatisch gelöscht, kann gar nichts weiter passieren. Dafür reicht schon eine sehr geringe Menge Löschmittel aus. Aber wieso wird das noch nicht umgesetzt?
Ein großer Feind des Fortschritts ist der Unwille, sich einig zu werden. Wo in Bayern bereits größere Fluchtfenster ein echtes Problem darzustellen scheinen, wäre ein solches System der Früherkennung und Frühbekämpfung auf Bundesebene nur schwer durchzusetzen.
Dann wäre da noch das leidige Thema der Bürokratie. All die verschiedenen Vorschriften führen zu nichts, wenn die Ausführung nicht ausreichend überwacht wird. Hier müsste das Fachpersonal selbst übernehmen, nicht die Gesetzgebung. Herr Eberl-Pacan spricht vom Vieraugenprinzip, das er selbst für den Brandschutz bei seinen Projekten nutzt.
- „Mit meinen zwei Augen entwickle ich ein Brandschutzkonzept und ein sogenannter Prüfingenieur für Brandschutz, die anderen beiden Augen, prüft das Ganze.“
Vielleicht wäre so etwas genau das Richtige.
Herr Eberl-Pacan, was ist Ihr Lieblingsbauwerk?
Er nennt uns gleich mehrere Bauten in verschiedenen Städten, die meisten davon aus oder mit Holz gebaut. Seine Begeisterung für den Holzbau, gerade in Innenstädten, begründet er uns folgendermaßen:
- „Es muss nicht jedes Gebäude in der Stadt eine Holzfassade haben. Aber wenn ich mal ein Gebäude habe als Eyecatcher, mit einer Holzfassade, die lebt und lebendig ist und sich einfach von den anderen abhebt, merkt man, dass Holzbau schon großartig ist. Ich hatte früher als Architekt mit Holzbau eigentlich gar nichts am Hut, aber durch den Brandschutz und durch diese Beschäftigung bin ich absoluter Holzbauer.“
In einem sind wir uns mit ihm absolut einig: Im Holzbau schlummert noch sehr viel Potenzial. Daher hoffen wir sehr, dass sich künftig mehr Menschen im Bauwesen trauen, mit Holz zu planen und zu bauen. Vielen Dank, Herr Eberl-Pacan, dass Sie bei uns zu Gast waren!