751x
000138
7. November 2023

Von Gurken, Tulpen und Biergläsern: Londons Skyline

Londons Skyline ist geprägt von markanten Wolkenkratzern mit sonderbaren Formen – eine geschraubte Gurke, daneben ein Bierglas und beinahe wäre es sogar zu einer gläsernen Tulpe gekommen. Welche Gründe sorgen dafür, dass gerade hier solche sonderbaren Wolkenkratzer entstehen? Lest rein und erfahrt mehr darüber!

Die Skyline jeder großen Stadt der Welt ist einzigartig. Grund dafür sind die Könige (und Königinnen) der Bauwerke: Wolkenkratzer. Mal klassisch quaderförmig, mal mit ausgefallenen Rundungen und einige ganz spezielle Fälle.

Diese speziellen Sonderlinge unter den Wolkenkratzern ziehen natürlich Blicke auf sich. Fakt ist, nirgendwo auf der Welt gibt es eine ähnliche Sammlung wirklich skurriler Formen wie auf der Londoner Skyline. Wir stellen vor: eine geschraubte Gurke, daneben ein Bierglas und beinahe wäre es zu einer gläsernen Tulpe gekommen.

Nachdem sich London immer etwas gegen den Bau von Wolkenkratzern gesträubt hat, wurden allein in den letzten Jahrzehnten über 200 Wolkenkratzer geplant. Aber was ist der Grund für diese seltsamen Formen? Wir erklären euch die Umstände ein wenig genauer und stellen fest, dass Stadtplanung doch etwas komplizierter ist als wir gedacht hätten.

London Skyline: Sichtachsen und Höhenlimit

Wer schon in London war oder Bilder von der Skyline gesehen hat, weiß: Im Vergleich mit anderen Weltstädten wirkt sie auf den ersten Blick eher schlicht und niedrig. Das hat tatsächlich einen sehr historischen Hintergrund. In London gibt es rund um die berühmte St. Paul's Cathedral eine Höhenbegrenzung für Bauwerke – und das schon seit 1938.

Außerdem müssen festgelegte Sichtachsen auf den Dom freibleiben, damit dieser von den wichtigsten Plätzen der Stadt aus sichtbar bleibt. Eine dieser Sichtachsen beträgt sogar fast 13 km Länge.

Hintergrund dessen sind Londons mittelalterliche Stadtpläne. Typisch für Städte, die im Mittelalter geplant wurden, sind eher willkürliche Formen der Grundstücke und Stadtviertel. Vor etwa 400 Jahren wurde die Skyline typischerweise von Kirchtürmen dominiert, die Orientierungspunkte boten.

Die St. Paul's Cathedral diente als wichtigster Orientierungspunkt mit dem größten Turm der Stadt (111 m). Um diese Sicht auf den Dom zu schützen, wurde 1894 der London Building Act verabschiedet, in dem es hieß, nichts darf höher gebaut werden als 80 Fuß (ca. 23 m).

Durch geschickte Kniffe umgingen Architekten diese Sperre immer wieder und bald wurden 100 Fuß daraus (ca. 30 m). Zusätzlich wurde beschlossen, dass der Blick von den wichtigsten Plätzen der Stadt auf das ikonische Bauwerk St. Paul's Cathedral frei sein muss. Zu diesem Zweck wurden acht Sichtkorridore festgelegt.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam der Wolkenkratzer-Boom von den USA nach Europa. Ab 150 m ist ein Gebäude ein Wolkenkratzer. Bekannte Beispiele für den Startschuss der stählernen Riesen sind der John Hancock Tower, die Twin Tower und der Willis Tower. Je beliebter Wolkenkratzer wurden, desto mehr weichten die festgelegten Regeln auf. Letztendlich hat es bis 1980 gedauert und der erste Wolkenkratzer Londons wurde eröffnet.

Die Eröffnung Turm der NatWest-Bank als erster Wolkenkratzer war eine große Besonderheit und lange wurde über weitere solcher Bauten in der historischen Stadt diskutiert. Erst 1991 wurde mit dem One Canada Square der zweite Wolkenkratzer eröffnet.

Während im Stadtinneren Diskussionen jede weitere Bauplanung zu verhindern wussten, zeichnete sich in den früheren Hafenanlagen eine geradezu rasante Entwicklung ab. Canary Wharf wurde immer mehr eine Konkurrenz zur City. Hier war Bauen ohne lästige Höhenbegrenzung möglich, ganz im Gegensatz zum historisch gewachsenen Finanzzentrum in der City of London.

Vor allem Banken ließen die historische Altstadt hinter sich, um in Canary Wharf ihre Wolkenkratzer hochzuziehen. Dieser Umstand führte zu einem Umdenken der konservativen Stadtplaner im Stadtkern. Die Corporation of London gab der Wolkenkratzer-Lobby immer mehr nach, um Investoren in der City zu halten.

In den 2000ern explodierte die Anzahl an Baugenehmigungen für Wolkenkratzer geradezu, sehr zuleide der Denkmalschützer und Fans des traditionellen Londons. Übrigens: Die Crossrail Station (Bahnhofstation) wurde von unserem Kunden mithilfe unserer Statiksoftware geplant und berechnet. Hier findet ihr eine einzigartige Holzkonstruktion, die seit Ende März 2014 im Herzen von London steht.

Seltsame Bauprojekte in London

Und warum sie so aussehen wie sie aussehen

1) The Gherkin – Gemüse aus Stahl und Glas

Das erste Gebäude, das wir uns ansehen, trägt den vielsagenden Spitznamen „The Gherkin“. Die schmale, geschraubte Form erinnert tatsächlich an eine Gurke, doch wie kam es dazu? Geplant war ursprünglich ein wahres Meisterwerk der Ingenieurskunst.

Bevor der Millennium-Tower zur Gewürzgurke wurde, schuf 1992 der Architekt Norman Foster, einer der wohl bekanntesten Architekten, das ursprüngliche Design des Millennium Towers.

Dieses originale Design sollte sich auf eine Höhe von 386 m erstrecken und dem Begriff Wolkenkratzer alle Ehre machen. Allerdings schlug hier Londons Stadtplanung zu, denn das Bauwerk würde die Sicht auf die St. Paul's Cathedral blockieren. Daher wurde die Höhe auf 180 m zurückgeschraubt.

Die Höhe hätten wir also geklärt, aber wie kam es zur sonderbaren Schrauben-Form? Hier ging es um einen der festgelegten Sichtkorridore und auch um mögliche Fallwinde. Durch die geschraubte Fassade bleibt der Blick auf den Dom frei.

2) The Shard – Die Scherbe Londons

Im Jahr 2000 entwarf der Architekt Renzo Piano entwarf in Zusammenarbeit mit Broadway Malyan einen ganz besonderen Wolkenkratzer. Geplant war ein 400 m hoher Turm, doch auch diese Idee stieß auf Gegenwehr, dieses Mal direkt aus der Bevölkerung, welche 2003 dazu anhielt, die Pläne zugunsten der Sicht auf die St. Paul's Cathedral zu ändern.

Die Höhe wurde auf 332 m herabgesetzt, doch damit nicht genug. Es folgte eine Änderung von Breite und Form. Das Gebäude und vor allem die Spitze sollte so dünn wie möglich sein, um die Sicht auf den Dom nicht zu beeinflussen.

Durch transparentes Glas wirkt das Gebäude wie eine Glasspitze, die eine Betonsäule umgibt und wurde 2013 eröffnet. Diese Form gab dem Bauwerk seinen Namen: eine Glasscherbe, die aus dem Boden sticht.

3) The Cheese Grater – Eine Käsereibe für London

Eigentlich verbindet ihr sicherlich eher Irland mit Käse, aber auch England hat einiges zu bieten: zum Beispiel eine Käsereibe in Übergröße. Worum es hier geht? Das Leadenhall Building im Londoner Finanzbezirk gehört mit einer Höhe von 225 m nicht gerade zu den größten Bauwerken seiner Zeit, doch die Größe war dieses Mal nicht der Grund für seine ungewöhnliche Form.

Die Probleme liegen hier in den ursprünglichen Plänen. Aus einem bestimmten Winkel würden die Silhouetten des Leadenhalls und der St. Paul's Cathedral sehr nahe beieinander stehen. Diesem unpassenden Stilbruch sollte bei der Planung entgegengewirkt werden.

Beteiligte Architekten suchten einen Weg, beide Gebäude optisch mehr zu trennen. Die entscheidende Idee: Sie lehnten die Front des Gebäudes einfach mehr nach hinten und brachten es in eine Keilform. Im Jahr 2014 kam es dann zur Eröffnung des dreieckigen Wolkenkratzers, der an eine Käsereibe erinnert.

4) The Tulip – Die Tulpe neben der Gurke?

Erst 2018 gab es konkrete Entwürfe zu einem neuen Wolkenkratzer. Geplant war ein Stiel mit Aussichtsplattformen auf der Oberseite. Hier ging es um einen reinen Aussichtspunkt, der natürlich nicht kostenlos sein sollte und keine Büros oder weiteren Nutzen mit sich brachte.

Dieses Bauwerk wurde stark diskutiert und entwickelte sich zu einem regen Streitpunkt. Letztendlich wurde beschlossen, dass London kein Gebäude braucht, das nur Aussichtspunkt ist. Schließlich gibt es auf den Dachterrassen der umliegenden Wolkenkratzer genügend davon. Die Pläne für die Tulpe wurden 2019 endgültig verworfen, um die Skyline und die Sicht auf St. Paul's Cathedral zu schützen.

Fazit: Londoner Skyline

London wächst stark weiter und braucht dringend mehr Wohnraum. Der jährliche Architekturbericht „Tall Buildings Survey“ für 2022 zeigt: 583 Gebäude mit 20 oder mehr Etagen sind geplant oder bereits im Bau. Zusätzlich existieren Projekte für 341 Hochhaustürme mit Baugenehmigung. 109 sind bereits fertiggestellt und 71 verfügen zumindest über eine Teilgenehmigung.

Es wird also fleißig gebaut, weshalb aber bleibt die Wohnungsnot bestehen? Auch hier ist die Antwort recht einfach. In den hohen neuen Gebäuden entstehen zu großen Teilen teure Luxus-Wohnungen. Viele Wohnhäuser werden einfach kopiert und wirken wie aus dem Baukasten. Individualität ist Mangelware und die größte Frage ist: Wer will hier leben oder kann es sich leisten?

London ist auch international bekannt für experimentierfreudige Architektur, die oftmals besonders in der eigenen Bevölkerung keinen Anklang findet. Ein prominentes Beispiel dafür ist auch der Wolkenkratzer „The Pint / The Walkie-Talkie“, über den wir bereits in einer anderen Podcast-Folge ausführlich gesprochen haben.

Mehr über unseren Podcast

Künstlerische Freiheit ist auch in der Architektur sehr wichtig. Gleichzeitig handelt es sich hier aber auch um eine sehr historische Stadt, die ihren traditionellen Kern bewahren will. Gerade nach Ende der Finanzkrise 2008 sollte der Wolkenkratzerbau als Zeichen einer neuen Ära und Umsetzung liegengebliebener Bauprojekte dienen.

Es wurde notwendig, moderne Stadtplanung und das Bewahren des historischen Charakters in Einklang zu bringen. Dadurch entstehen für Londons Skyline immer neue Herausforderungen, die wiederum zu faszinierenden Bauwerken führen.


Autor

Frau Ruthe ist im Marketing als Copywriterin zuständig für die Erstellung kreativer Texte und packender Headlines.

Links