Vergessen wir bei all der Technik manchmal den Menschen?
Ein Interview mit dem Emotional Engineer Sissi Kamarianakis
Heute haben wir einen ganz besonderen Gast. Normalerweise ist unser Podcast eher technisch, doch dieses Mal begeben wir uns auf die emotionale Ebene des Bauwesens. Sissi Kamarianakis ist bei uns zu Gast und schon seine Berufsbezeichnung lässt uns aufhorchen. Ein Emotional Engineer – Was genau soll das sein? Wir sind gespannt und können es kaum erwarten!
Von Technik, Menschen und ihren Emotionen
Die Menschen gehören in den Mittelpunkt der Arbeit – auch im Ingenieurwesen. Das ist eine wirklich sehr interessante Aussage. Emotionen sind nicht unbedingt das, was wir mit dem Beruf des Ingenieurs in Verbindung bringen würden. Unser Gast Sissi Kamarianakis sieht das anders. Er erklärt uns, was genau wir uns unter seiner Arbeit als Emotional Engineer vorstellen können.
Sissi studierte zunächst sehr klassisch Bauingenieurwesen an der Universität Bochum. Anschließend weitete er seine Kenntnisse mit einem BWL-Studium aus. Schließlich wollte er neben dem Bauen an sich auch lernen, wie in Bereichen des Personals und der Volkswirtschaft gearbeitet wird. Damit schuf er eine Basis für seine heutige Arbeit. Noch dazu hat er zahlreiche Weiterbildungen gemacht, wie im System-Coaching und Baumediation.
Es schlugen schon immer zwei Herzen in seiner Brust: einmal die technische Seite, die ihm viel Spaß macht. Dann aber auch der Umgang mit Menschen und die Begeisterung anderer. So beschloss er, zumindest in Teilzeit einen anderen Weg einzuschlagen. Teilweise arbeitet er noch immer in der klassischen Grundstücksbemessung, andererseits ist er auch selbständig und entwickelt Kommunikationskonzepte für innerstädtische Projekte.
Was macht ein Emotional Engineer?
Worum geht es bei diesen Kommunikationskonzepten? Inwiefern brauchen wir so etwas? Hier hat er ein einfaches Beispiel für uns. Gerade, wenn Straßen zum wiederholten Mal aufgerissen werden, sorgt das bei Anwohnern für Unmut – verständlicherweise.
- "Wenn wir Ingenieure etwas nicht gut können, ist es, technische Sachverhalte einfach zu vermitteln."
Da hat er wohl Recht. Wir Ingenieure können selten aus unserer Haut, wenn es um unsere Arbeit geht. Das führt nicht selten zu Unverständnis und Frust aufseiten der Bürgerinnen und Bürger. Andererseits wiederum frustriert das abwehrende Verhalten der Anwohner natürlich die Ingenieure – zwei Fronten, die sozusagen aneinander vorbei, anstatt miteinander reden.
Hier setzt Sissi an, um technische Sachverhalte zugänglicher zu machen. Damit will er die Kommunikation zwischen Ingenieurwesen und Menschen, die nicht aus diesem technischen Bereich kommen, erleichtern.
Verbau mir das nicht! Kommunikationsprobleme in der Baubranche
Verglichen mit anderen Ländern ist die Bauplanung und -durchführung in Deutschland etwas chaotisch. Dabei machen wir es uns oft schwerer als nötig. Abteilungen reden untereinander nicht wirklich über gemeinsame Projekte, jeder macht so sein Ding und letztendlich fällt dieses Chaos auf uns alle zurück. Planungen werden doppelt durchgeführt und passen am Ende nicht richtig zusammen. Nach der Bauplanung sieht es auf der Baustelle dann nicht besser aus.
Im Studium wird uns Ingenieuren zwar beigebracht, wie wir unsere Arbeit machen und Modelle berechnen. Aber die Art und Weise, wie man in der Bauplanung miteinander kommuniziert, wird uns einfach nicht beigebracht. So geraten schnell Abteilungen oder Bereiche aneinander und irgendwo lauert dann ein Burnout. Dabei könnten wir das mit wenigen Worten vermeiden.
Die Probleme in Projekt-Teams, um die Sissi sich kümmert, sind vor allem hierarchischer Natur. Oft wird zwischen Führungsebene und den Menschen darunter gar nicht kommuniziert. Oder es werden falsche Erwartungen gesetzt und Druck wird aufgebaut. So kann ein Team natürlich nicht funktionieren.
Auch bei der Einführung von neuen Arbeitsweisen, wie bspw. BIM, kommt es zu Konflikten zwischen den Hierarchie-Ebenen. Hier wird nicht eindeutig genug kommuniziert und die Abwehrhaltung der Mitarbeiter macht es nicht leichter. Doch wie baut man solche Strukturen um? Wie führt man Neuerungen so ein, dass jeder versteht, wieso sie notwendig sind?
New Work als Lösung
Sissi erläutert uns das Prinzip des "New Work", welches er selbst mit Herzblut verfolgt. Dabei geht es darum, sich selbst in der Arbeit wahrzunehmen. Jeder soll über seine Zeit selbst verfügen können, selbständig entscheiden und Teil einer positiven, funktionierenden Gemeinschaft sein. Hier wird unterstützend miteinander und nicht nebeneinander oder gar gegeneinander gearbeitet.
Eine Führungsperson sollte im Sinne des New Work nicht von oben herab nur stur Aufgaben verteilen, sondern seinen Mitarbeitern unterstützend zur Seite stehen. Die Bedürfnisse der Menschen sollen auch durch die Führungsetage wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Ein sehr zeitgemäßer, moderner Ansatz.
Mithilfe dieses Ansatzes setzt sich Sissi in unserer doch sehr konservativen Branche für mehr Reflektion und Umdenken ein, gerade auf der Führungsebene. Ein Verständnis für Persönlichkeitsentwicklung und die richtige Kommunikation sind schließlich für ein gesundes Arbeitsklima unendlich wichtig. Man muss sozusagen eine gemeinsame Sprache finden.
Der Mensch als Zentrum der Arbeit
Um zu verdeutlichen, wo Sissis Arbeit ansetzt, stellt er uns eine Frage, die er sehr oft in seinen Kursen nutzt. In der Regel erhält er darauf selten eine klare Antwort. 90-95% der Teilnehmer können darauf nicht antworten. Und die Antwort „Gehalt“ zählt nicht!
- "Wofür steht ihr jeden Morgen auf und macht diesen Job?"
Wenn tatsächlich Antworten kommen, spürt man in jedem Wort die Leidenschaft. Man merkt sofort, dass jemand für seine Arbeit brennt. So geht es aber leider wirklich nur den wenigsten Menschen. Auf dieser emotionalen Ebene muss zuerst gearbeitet werden. Stimmen die Emotionen, kommt der technische Erfolg während des Arbeitens von ganz allein.
Sissi verdeutlicht, dass es bei seinen Methoden vor allem um das Thema der Reflektion geht. Die Teammitglieder sollen immer wieder miteinander interagieren und sich austauschen. Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Gerade Perspektivenwechsel sind hier sehr hilfreich. Letztendlich kommt es dazu, dass die Frage in den Raum geworfen wird:
- "Was sind jetzt unsere nächsten konkreten Schritte, damit ihr das hier in diesem Team umsetzen könnt?"
Dieser ganze Prozess kann auch gut einen Tag lang dauern. Aber diese Zeit muss sich wirklich genommen werden, das ist wichtig. Auch über Fehler muss dabei gesprochen werden, um sie aus der Welt schaffen zu können. Natürlich unter guter Moderation. Kommunikation und Empathie sind für Sissi in der Teamarbeit der absolute Schlüssel zum Erfolg.
Grenzen von Emotional Engineering
Als Emotional Engineer konzentriert sich Sissi auf die Zukunft des Teams, das er coacht. Hier geht es darum, Methoden zu finden, wie das Team künftig besser zusammenarbeiten und sich gemeinsam weiterentwickeln kann. Auch Einzel-Coachings oder Einzelgespräche sind ein Teil seiner Arbeit.
- "Kommt bei einem Einzelgespräch dann heraus, da ist wirklich eine Krankheit, wie eine Depression, muss ich sagen, da bin ich raus. Das ist nicht mein Bereich."
Hier bekräftigt Sissi noch einmal, dass ein Coaching bei ihm kein Ersatz für eine Therapie ist. In solchen Fällen ist eine Psychotherapie notwendig, die nach den Ursachen für Probleme in der Vergangenheit sucht, um die Gegenwart einer Person, das Hier und Jetzt, wieder in Ordnung zu bringen. Das ist ein klarer Unterschied zum Coaching. Bei Sissis Arbeit geht es vor allem um Selbst- und Gruppenfindung durch Reflektion.
Wünsche für die Zukunft
Wir fragen Sissi abschließend, was er jungen Berufsanfängern mit auf den Weg geben würde. Und was er sich für die Zukunft junger Leute wünscht. Er schildert uns, dass einige Hochschulen bereits Kurse zu Themen wie Mediation oder Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung geben. Leider ist das aber noch nicht allzu verbreitet.
Schüler und Studenten sollten weniger auf ihre Noten achten und lieber herausfinden: Was kann ich gut? Wo sind meine Stärken und wo kann ich sie am besten einsetzen? Aber auch Thematiken wie der Umgang mit Konflikten sind für das spätere Berufsleben unglaublich wichtig. Gerade im technischen Bereich bekommt man so etwas nun einmal nicht mit auf den Weg. Obwohl es für ein wirklich erfülltes Leben so unendlich wichtig ist. Diese Ebene fehlt im normalen Studium leider vollkommen. Wenn es solche Kurse gibt:
- "Das ist eine Reise zu sich selbst – unbedingt machen!"
Sissi, was ist dein Lieblingsbauwerk?
Als Ingenieur mit griechischen Wurzeln beeindruckt ihn vor allem die Akropolis in Athen. Vor 2.500 Jahren mit einfachsten Mitteln erbaut und noch immer wunderschön – Diese Bewunderung können wir nur teilen.
Sein zweites Lieblingsgebäude ist der Burj Khalifa – allein schon wegen seinen unglaublichen Ausmaßen. Wir Ingenieure sollten definitiv mehr zeigen, was wir können und was wir tun. Denn darauf können wir stolz sein. Vielen Dank, dass du bei uns warst!
Autor

Luisa Ruthe
Marketing
Frau Ruthe ist im Marketing als Copywriterin zuständig für die Erstellung kreativer Texte und packender Headlines.
Schlüsselwörter
Dlubal Podcast Emotional Engineer Interview Bauwesen
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- Aktualisiert 20. Februar 2023
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