2397x
000129
14. September 2023

Verspielt und privat: Baustil des Rokoko

Der massive Prunk wich verspielten, aber bedacht gesetzten Akzenten, ohne zu überladen zu wirken: Intimität und Gemütlichkeit anstatt erzwungener Zurschaustellung von Reichtum und Macht. Die Epoche des Rokoko hält eine Vielzahl interessanter Bauwerke für uns bereit und bringt einige Gedanken mit sich, die für unsere moderne Baubranche als Inspiration dienen können.

Zum Ende des Barock entwickelte sich eine weitere künstlerische Bewegung im europäischen 18. Jahrhundert. Gerade in Frankrich, dem Geburtsland des Barock, bildete sich gewissermaßen eine Gegenbewegung, die jene strenge Maße aufbrechen wollte.

Das Rokoko steht vor allem für eine verspielte Mode, Kunst und Innengestaltung, aber auch für eine andere Form der Architektur: eine Antwort auf riesige barocke Prunkbauten mit ihren starren Symmetrien. Vielmehr wurde auf Eleganz, Anmut und Verspieltheit Wert gelegt.

Wir sehen uns diesen faszinierenden Stil in der damaligen Baukunst genauer an. Welche Beispiele für Rokoko-Bauten existieren noch heute? Was können wir für unser modernes Bauwesen von den alten Baumeistern lernen? Begleitet uns auf eine Reise ins 18. Jahrhundert!

Merkmale des Rokoko

Wie schon der Barock setzten auch Bauherren im Rokoko auf künstlerische Details bei der Errichtung ihrer Gebäude. Die verzierten Fassaden und kunstvoll geschmückten Innenräume zeigen dagegen keine Herrschaftssymbole, sondern vorrangig natürliche Motive. Blumen und Ranken, vor allem aber Muscheln, Wasser und Felsen sind ein Thema, das wir in Rokoko-Bauten sehr oft antreffen.

Im Rokoko wurde der Trend vorangetrieben, die verschiedenen Flügel der Bauten optisch zu trennen. Es wurden keine großen, zusammenhängenden Anlagen mehr errichtet. Somit finden wir separate Wohn-, Küchen- und Bediensteten-Gebäude vor.

Auch die Anordnung der verschiedenen Elemente weicht von der vorangegangenen Epoche ab. Bewusst gesetzte Asymmetrien verleihen den Rokoko-Bauwerken eine spielerische und damit ungezwungene Ästhetik. Selbst die Farbgebung unterscheidet sich vom Vorgänger. Statt kräftigen, deckenden Farben gestaltet sich die Farbpalette des Rokoko eher zurückhaltend. Es dominieren helle, beinahe zarte Farben wie Himmelblau, Rosa, Gold und Creme.

Im Gegensatz zu den opulenten Räumlichkeiten des Barock kehrte das Rokoko zu kleinen, intimeren Räumen zurück. Privatsphäre und Gemütlichkeit standen hier im Vordergrund. Spiegel und prächtige Kronleuchter sorgen dafür, dass trotzdem ein Gefühl von Helligkeit und Weite in diesen kleineren Räumen aufkommt.

Rokoko-Künstler waren oft sehr detailverliebt. So finden wir in den Innenräumen oft beeindruckende Stuckarbeiten vor, die sich als Decken-Dekor über die Köpfe der Besucher ziehen. Auch hier zeigen sich oftmals die für das Rokoko typischen Rocaille-Motive: Muscheln, Meereswesen und Felsen.

Beispiele für Rokoko-Bauwerke

Die Merkmale des Rokoko haben wir also geklärt. Nun stellen wir euch einige interessante Beispiele für diese Baukunst vor. Hinter jedem Gebäude steht eine Geschichte, die erzählt werden möchte. Neben historischen Fakten gehen wir auch etwas genauer auf bauliche Besonderheiten ein. Begeben wir uns also auf eine Reise durch den Baustil des Rokoko.

Schloss Benrath

Düsseldorf, Deutschland

Geplant war das Schloss Benrath als zeittypisches Lust- und Jagdschloss im Stil des französischen Barock. Vom ehemaligen Wasserschloss, das zuvor an dieser Stelle stand, blieben nur die Orangerie und die Kapelle. Im Jahr 1771 wurde das Schloss nach 14-jähriger Bauzeit eröffnet und strahlt in einem zarten Altrosa. Das Herrenkabinett zeigt sich ganz im Rokoko-Stil.

Zu erwähnen ist hier ein Effekt, der das Schloss eher klein und eingeschossig wirken lässt. Von außen sollte es unscheinbar wirken und die Gäste beim Eintreten durch Geräumigkeit und detailreiche Dekor überraschen. Vor ihnen eröffnet sich ein System aus 80 Räumen, zwei Lichthöfen und sieben Treppenhäusern.

Wie im Rokoko-Stil üblich sind die Wohnräume mit üppigen Stuckdekorationen versehen, inspiriert von der Natur. Das Zimmer des Kurfürsten ist beispielsweise mit Eichenblättern dekoriert: ein natürliches Symbol für männliche Kraft.

Das Schloss Benrath ist ein hochmodernes multifunktionales Ensemble, dessen unterirdische Gänge das Hauptgebäude mit den Flügelbauten verbinden, damit Boten die Privatsphäre von Herrschern und ihren Gästen nicht stören: ein bis in die kleinsten Ecken durchdachtes Bauwerk.

Wieskirche

Steingaden, Deutschland

Seit 1983 ist die Wieskirche als UNESCO-Weltkulturerbestätte eingetragen, zu Recht. Denn die 1754 eröffnete Wieskirche ist geradezu ein Juwel des Rokoko. Hier wurde mittels hoher baulicher und gestalterischer Kunstfertigkeit ein Kirchenraum geschaffen, der mit seinem detailreichen floralen Stuckwerk zwar wortwörtlich erblüht, aber dabei nicht überladen oder zu prunkvoll wirkt.

Eine weitere Besonderheit ist der Ostchor, denn dieser zeigt, wozu die damalige Architektur gestalterisch und technisch in der Lage war. Bisher konnten Arkaden nur mit gewölbten Bögen überspannt werden. Zwischen den Rundsäulen des Chorumgangs wurden jedoch nach unten hängende Bögen als Holzverbindungen verwendet, um die Lasten aufzunehmen. Interessant sind auch die architektonischen Details, darunter Pilaster, Kapitelle, Gesimse und andere Ornamente, welche den Rokoko-Stil repräsentieren.

Die berühmte Figur und Namensgeber der Kirche mit der mehr oder weniger klangvollen Bezeichnung „Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies“ wurde aus Teilen alter Figuren aus dem Kloster Steingaden zusammengestellt. Trotz dieser Machart wurde sie weltbekannt: ein Beispiel dafür, dass inhaltlich wertvolle Kunstwerke auch mit einfachen Mitteln geschaffen werden können.

Cuvilliés-Theater

München, Deutschland

Die Geschichte des Münchner Residenztheaters geht auf die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. Eine Feuershow ging wohl schief und brannte das gesamte Hoftheater nieder. Ein neues Opernhaus musste her und wurde von Zeitgenossen als „Juwel des Rokoko“ bezeichnet.

Das Theater wurde reichlich mit Gold und Stuck verziert und war nicht nur Spielstätte bekannter Persönlichkeiten wie Mozart. Es diente auch als perfekte Kulisse für rauschende Feste. Damit die feurige Tragödie sich trotz 1.334 Wachskerzen nicht wiederholen konnte, dienten dicke Außenmauern, ein ausgetüfteltes Druckwerk unter dem Gebäude, um Wasser bis in den Dachstuhl zu pumpen und ein Haus-Feuerwehrmann der notwendigen Sicherheit.

Wie viele bekannte Bauwerke wurde auch das Theater im Jahr 1944 von Spreng- und Brandbomben des Zweiten Weltkriegs getroffen und zerstört. In einer halsbrecherischen Rettungsaktion wurden die kunstvoll geschnitzten Logenverkleidungen des Zuschauerraums in letzter Minute abgerissen und in Sicherheit gebracht.

Erst 1956 wurde das alte Cuvilliés an Stelle des provisorischen Theaters am Brunnhof neu errichtet. Die ausgelagerten Teile hatten den Krieg überstanden und wurden mühevoll, Geld- und Materialmangel zum Trotz, zusammengefügt. Nach nur eineinhalb Jahren Bauzeit wurde es bereits neu eröffnet und erstrahlt seit 2008 dank Sanierungsarbeiten in neuem alten Glanz.

Nationalpalast von Queluz

Queluz, Portugal

Beim Palácio Nacional de Queluz handelt es sich um eine der größten und schönsten Rokoko-Schlossanlagen Europas. Die einstige Sommerresidenz des Prinzen wurde im 18. Jahrhundert errichtet und zeigt bereits auf den ersten Blick genau, wovon sie inspiriert wurde. Allein die Fassade erinnert sehr an das berühmte Schloss Versailles und im Inneren setzt sich dieser Eindruck fort, was der Residenz den Beinamen „portugiesisches Versailles“ verschafft hat.

Nach dem Erdbeben im Jahr 1755 stoppte der Bau des Palastes und wurde erst drei Jahre später wiederaufgenommen. 1778 war es dann so weit und das Rokokoschloss wurde eingeweiht. Das Äußere des Palastes ist als eher im Spätbarock einzuordnen, wogegen die Innenräume im Rokoko-Stil gestaltet sind. Reiche Stuckverzierungen, pastellfarbenen Wandverkleidungen und elegante Möbel sowie verspielten Details begrüßen eintretende Gäste.

In vielen Innenräumen zeigen sich die regional typischen Azulejos, bunte, zumeist blaue Keramikfliesen. Andere Räume zeigen venezianische Kunst, Fresken und wertvolle Wandteppiche. Auch der Kuppelsaal im Palast ist etwas Besonderes. Denn die beeindruckende Kuppel ist reich verziert und geschmückt mit biblischen Fresken.

Bis die portugiesische Königsfamilie ins Exil floh, war der Palast die offizielle königliche Residenz des Landes. Heute wird der Nationalpalast von Queluz für verschiedene kulturelle Veranstaltungen, Konzerte und Ausstellungen genutzt.

Fazit: Rokoko

Prunk und Prachtbauten wichen also schlichteren, eleganteren, aber nicht weniger schönen Bauwerken. Die Menschen konzentrierten sich darauf, elegante, verspielte Innenräume zu schaffen, in denen sie sich wohlfühlen konnten. Oftmals wirken Rokoko-Gebäude von außen nicht unbedingt beeindruckend. Jedenfalls, bis wir über die Schwelle treten und unsere Blicke zu den kunstvollen Stuckdecken mit ihren faszinierenden Fresken schweifen zu lassen.

In jedem Fall lohnt sich also ein zweiter, genauerer Blick hinter die Fassade: Ein Lehrsatz, den wir direkt auf diese Weise in unseren Alltag übernehmen können. Was aber kann gerade die Baubranche aus dem Rokoko-Stil mitnehmen?

Was wir vom Rokoko lernen können

Zwar ist der Stil des Rokoko vorwiegend in der Gestaltung von Innenräumen zu finden, aber auch in dieser Hinsicht können wir für unser modernes Bauwesen einiges daraus lernen. Beispielsweise verband das Rokoko Kreativität und Ästhetik direkt mit der Gestaltung von Gebäuden. Anstatt sich auf das zehnte blockartige Bauwerk seiner Art zu konzentrieren, könnte unsere Baubranche etwas mehr Verspieltheit im Design gut vertragen.

Ein wenig Kreativität hat noch niemandem geschadet und würde den ästhetischen Wert eines Bauwerks steigern. Schließlich fühlen die meisten Menschen sich in einem Gebäude wohler, das eine Seele hat. Und nicht im dreizehnten Klon eines schmucklosen Betonblocks.

Das Rokoko ist außerdem bekannt für reiche Verzierungen und Ornamente, die allerdings im Gesamtkonzept integriert sind. Dekorationen und funktionale Elemente schließen sich gegenseitig nicht aus, was Ingenieure und Ingenieurinnen heutzutage gut nutzen können, um jedes Gebäude mit einer passenden Komposition aus Funktionalität und Ästhetik zu versehen.

Gerade in Wohnhäusern und sozialen Einrichtungen kann eine Besinnung auf den Rokoko-Stil hilfreich sein, um einladende Räume zu schaffen: nicht zu groß, um sich verloren zu fühlen, aber gleichzeitig dank baulicher Elemente mit einer raumvergrößernden Wirkung. Durch die Nutzung von Licht durch große, bedacht platzierte Fenster können auch kleine Räume hell und einladend wirken.

Wir möchten die Baubranche dazu inspirieren, im Geiste des Rokoko nach innovativen Lösungen zu suchen, um Projekte weniger massiv erscheinen zu lassen. Gerade herkömmliche Stahlbauten sind oftmals aufgrund ihrer Massivität wenig einladend, innen und außen. Dank zahlreicher Materialien und Technologien, die uns heute zur Verfügung stehen, sind wir im Bauwesen zu weit mehr in der Lage als wir in den meisten aktuellen Bauprojekten zeigen.


Autor

Frau Ruthe ist im Marketing als Copywriterin zuständig für die Erstellung kreativer Texte und packender Headlines.