Brückenbau
Es ist die Königsdisziplin unter den Bauingenieuren. Ein Sprichwort besagt „Es nutzt nichts jemanden eine Brücke zu bauen, der gar nicht auf die andere Seite will“. Diesen Satz können wir auch manchmal auf das Bauwesen anwenden. Es gibt immer noch viele Menschen, die bei Brücken skeptisch sind, sei es wegen der Höhe oder der Unsicherheit, dass etwas passieren könnte.
Frühere Ereignisse in der Vergangenheit zeigen, dass diese Bedenken nicht immer unbegründet sind. In diesem Blogbeitrag stellen wir eine Brücke vor, von der wahrscheinlich jeder Bauingenieur oder Bauingenieurin schon gehört hat. In den ersten Semestern zeigen Dozierende an diesem Beispiel, wie wichtig es ist, die Dynamik zu berücksichtigen. Bei der Tacoma-Narrows-Bridge konnte sogar der Laie sehen, dass etwas nicht ganz richtig ist.
Die Geschichte der rätselhaften Brücke
Die Meeresbucht Pudget Sound liegt im Nordwesten des US-amerikanischen Bundesstaates Washington. Der Landweg ist sehr weit. Aus diesem Grund wird für das Jahr 1940 eine Brücke geplant, welche die Fahrt verkürzen soll. Dafür eignet sich besonders gut der Ort Tacoma.
Für eine solche Überführung spielt die Spannweite eine entscheidende Rolle. Das ist der Abstand zwischen den beiden Brückenpfeilern. Die Ingenieure wollen diese Spannweite verkürzen, indem sie zwei Pfeiler einbauen. Trotzdem wird es eine der größten Hängebrücken zu der Zeit werden. Nur die Golden Gate Bridge in San Francisco und die George Washington Bridge in New York sind länger.
Zur Umsetzung wird der russische Ingenieur Leon S. Moisseiff beauftragt. Er ist in Amerika ein bekannter Tragwerksplaner mit einem sehr guten Ruf.
Ein Beispiel für seine Projekte ist die größte Stahlbogenbrücke in New York City – die Bayonne Bridge.
Die Planer erwarten auf der Tacoma-Narrows-Bridge nur ein niedriges Verkehrsaufkommen. Deshalb werden zwei Fahrstreifen und zwei Gehwege geplant.
Als Brückentyp wird eine klassische Hängebrücke gewählt. Es ist die Königin unter den Brücken, weil sehr große Spannweiten möglich sind. Dieses Bauwerk besteht aus fünf Elementen.
Die Pfeiler, auch Pylonen genannt, sind das herausragende Bauteil, an dem die Seile verankert sind. Sie tragen das Gewicht des Überbaus. Die Seile leiten in den Pylonen und die Ankerblöcke die Kräfte hinein. Die Hänger sind mit den Tragkabeln verbunden und leiten die Zugkräfte aus der Belastung der Fahrbahn. Der Überbau bzw. der Fahrbahnträger dient zur Versteifung der Brücke. In den Widerlagern werden die Kabelenden befestigt, sodass die Zugkräfte aufgenommen werden können.
Im Jahr 1938 wird zum ersten Mal Kritik bezüglich der Abmessungen laut, noch vor dem Beginn der Bauarbeiten. Die Breite des Überbaus beträgt knapp zwölf Meter. Die Fahrbahnträger sind Stahl-Vollwandträger mit einer Höhe von etwa 2,5 Metern. Allgemein gültigen Regeln besagen, dass eine ausreichende Steifigkeit erreicht ist, wenn ein bestimmtes Verhältnis zwischen der Trägerbreite und -höhe zur Tragwerkslänge erreicht ist. Das Problem dabei ist aber, dass es oft zu unwirtschaftlichen Ergebnissen geführt hat. Einige Bauingenieure stellten dieses Vorgehen deshalb infrage. Darunter ist auch Leon Mosseiff.
Die Hängebrücke wird klassisch, wie alle anderen Hängebrücken zu der damaligen Zeit gebaut. Die Gründung der Pylonen im Wasser ist eine Herausforderung. Es müssen mittels Senkkasten Fundamente in 54 und 68 Meter Tiefe unter der Wasseroberfläche hergestellt werden. Zum damaligen Zeitpunkt sind das die tiefsten Caissonsgründungen der Welt.
Die vorgefertigten Trägerabschnitte werden an den vertikalen Hängern eingebaut. Den Ingenieuren fällt auf, dass sich bei aufkommendem Wind das Bauwerk nicht gemäß ihren Vorhersagen verhält. Aus diesem Grund müssen die Bauarbeiter noch vor der Eröffnung die ersten Sanierungsmaßnahmen durchführen und die Trägerverformungen dämpfen. Trotz dieser Probleme wird die Brücke nach zwei Jahren Bauzeit am 01. Juli 1940 eröffnet.
Das ungewöhnliche Verhalten der Brücke kann der Öffentlichkeit nicht mehr verheimlicht werden. Sie bewegt sich nicht nur in seitlicher Richtung, sondern es gibt starke, wellenartige Bewegungen des Decks in Längsrichtung. Die Gesellschaft nennt dieses Phänomen liebevoll „Galloping Gertie“, also galoppierende Gertie.
Viele meiden deshalb die Brücke und nehmen weiterhin den längeren Weg über das Festland. Trotzdem wird die Brücke gerade durch den Wind zu einer Touristenattraktion. Menschen reisen von weit her an, um eine Fahrt über die „Achterbahnbrücke“ zu machen.
Daraufhin werden als ersten Lösungsschritt Schrägseile angebracht, damit die Situation entschärft wird. Heutzutage ist nicht nachvollziehbar, warum die Brücke nicht sofort gesperrt wurde.
Vier Monate nach der Eröffnung kommt es dann zum tragischen Ereignis. Am 07. November 1940 herrscht ein starker und stürmischer Wind mit Geschwindigkeiten bis 65 km/h. Anders als sonst kommt zu dieser Windstärke auch noch eine weitere Beanspruchung hinzu – die Torsion. Es kommt zu starken horizontalen Verdrehungen und Verdrillungen.
Die Amplitude wird auf bis zu zwölf Schwingungen pro Minute gesteigert. Zusätzlich kommt es noch zu einer Querneigung mit Schiefstellungen von fast 45 Grad.
Dadurch reißen die vertikalen Hänger. Der große Trägerabschnitt stürzt ein. Zum Glück kommen keine Personen zu Schaden.
Wie entwickelt es sich nach dieser Katastrophe?
Der Einsturz der Tacoma-Narrows-Bridge ist tragisch und wird wohl nie vergessen. Doch genauso lehrreich ist er für die technische Wissenschaft und für spätere Brückenprojekte. Im Oktober 1950 eröffnete eine zweite Tacoma-Narrows-Bridge an der gleichen Stelle, die bis heute in Betrieb ist. Allerdings wurden einige wichtige Änderungen vorgenommen, bevor sie für den Verkehr eröffnet wurde. Später kam sogar eine dritte Brücke hinzu.
Wie kann es zu so einem fatalen Ereignis kommen?
Nach dieser Tragödie kommt es zu einer Untersuchung mit erfahrenen Ingenieuren, die erkenntnisreiche Ergebnisse liefert. Die Hängebrücke war der geeignetste und vor allem wirtschaftlichste Brückentyp. Es hätte für dieses Bauwerk keinen besseren Standort gegeben. Die Ingenieure investierten viel in eine gute Planung und Umsetzung. Die Materialien hatten eine sehr hohe Qualität. Zusammenfassend wurde diese Leistung nach dem besten Stand des damaligen Ingenieurswissens ausgeführt.
Doch das Unglück resultierte aus ungewöhnlichen Schwingungen durch Windeinwirkung. Bei Brücken dieser Art ist bekannt, dass sich entlang der Brücke Transversalwellen ausbilden können. Schon durch leichten Wind wurde die Brücke zur Eigenschwingung angeregt. Durch die Windbeanspruchung kommt es demnach zu einem immer stärkeren Schwingen der Brücke. Sie wurde dynamisch so durch den Wind belastet, dass er genau die Resonanzfrequenz getroffen hat. Zusätzlich kommt es noch zu übermäßigen Vertikal- und Torsionsschwingungen. Die Brücke konnte diese Einwirkungen aufgrund ihrer Konstruktion nicht mehr kompensieren.
Die dynamischen Kräfte können nicht ausreichend aufgenommen werden. Deshalb war die Schwingungsamplitude viel zu hoch. Bei den schlanken Abmessungen wurde der Tacoma-Narrows-Bridge auch die ungünstige Geometrie des Trägers zum Verhängnis. Der dünne Fahrbahnträger erzeugt in Kombination mit den windundurchlässigen Seitenwänden einen Querschnitt. Dieser ist besonders anfällig für Flatterschwingungen. Aus diesem Grund kommt es zum Einsturz. Über die Einwirkung von aerodynamischen Kräften wusste man damals nur wenig.
Für die zweite und dritte Tacoma-Narrows-Bridge mussten sich die Ingenieure nicht nur mit der Statik der Brücken beschäftigen, sondern auch mit der Dynamik. Der Fahrbahnträger wurde auf 18,30 Meter verbreitert. Seine Höhe wurde sogar verdreifacht. Das hatte zur Folge, dass es um eine deutlich steifere Konstruktion handelte. Der Fahrbahnträger besteht nun auch aus einer offenen Fachwerkskonstruktion. Dadurch wird dem Wind nur noch eine geringe Angriffsfläche geboten.
Es war eine außerordentliche Katastrophe. Trotzdem ist sie lehrreich für die Wissenschaft und spätere Brückenprojekte. Die Modelle werden jetzt im Windkanal getestet. Das bedeutet, dass nicht nur die Statik, sondern auch die Dynamik berücksichtigt wird. Es führt auch dazu, dass bei anderen, schon bestehenden Brücken vereinzelt zusätzliche Versteifungen nachträglich eingebaut werden.
Dynamische Schwingungen können durch Wind, Erdbeben, sich bewegende Personen, Fahrzeugen und dem Unwuchten von Maschinen entstehen. Dadurch ist nicht nur die Tragfähigkeit von Bauwerken gefährdet, sondern auch die Gebrauchstauglichkeit.
Früher wurde der Wind anhand eines Modells in einem Windkanal simuliert. Heutzutage geht das schon deutlich schneller, einfacher und effizienter. Auch Dlubal Software hat mit der RWIND Simulation einen digitalen Windkanal erschaffen.
Gebäude sind windumströmte Körper. Dabei entstehen durch die Umströmung spezifische Lasten auf die Oberflächen. Man benötigt eine numerische Simulation von Windströmungen, um bei Gebäuden oder sonstigen Objekten die Windlasten zu generieren. Es werden 3D-Körper importiert, die Objekte der Umgebung hinzugefügt und die Topologie berücksichtigt. Dann werden das höhenabhängige Windprofil und die Windrichtung eingegeben. Es kommen Ergebnisse, wie zum Beispiel der Druck auf die Körperoberfläche, Geschwindigkeitsfelder und Stromlinien.
Dank dieser fortschreitenden Entwicklung und der vielen Erkenntnisse aus den vergangenen Jahren wird es wohl in Zukunft nicht mehr zu solchen tragischen Ereignissen kommen.