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1. Januar 0001
2 Theoretische Grundlagen

2.8.3.3 Versteifende Wirkung des Betons in Zugzone

Versteifende Wirkung des Betons in Zugzone

Bei gerissenen Stahlbetonteilen werden die Zugkräfte im Riss allein durch die Bewehrung aufgenommen. Zwischen zwei Rissen werden jedoch Zugspannungen über den (verschieblichen) Verbund in den Beton eingeleitet. Somit beteiligt sich der Beton an der Aufnahme innerer Zugkräfte, was zu einer Erhöhung der Steifigkeit des Bauteils führt. Dieser Effekt wird als versteifende Mitwirkung des Betons auf Zug zwischen den Rissen oder auch als Tension Stiffening bezeichnet.

Bild 2.136 Spannungs- und Dehnungsverhalten zwischen zwei Primärrissen

Die Berücksichtigung einer Erhöhung der Bauteilsteifigkeit durch die Zugversteifung kann auf zwei Arten erfolgen:

  • Es kann eine verbleibende, konstante Restzugspannung, welche nach der Rissbildung erhalten bleibt, in der Betonarbeitslinie involviert werden.

Die Restzugspannung ist dabei deutlich kleiner als die Zugfestigkeit des Betons. Alternativ können auch modifizierte Spannungs-Dehnungs-Beziehungen für den Zugbereich eingeführt werden, die über einen abfallenden Ast nach Erreichen der Zugfestigkeit das Mitwirken des Betons auf Zug zwischen den Rissen beachten.

  • Eine weitere Variante stellt die Änderung der „nackten“ Arbeitslinie des Betonstahls dar.

Hierbei wird im betrachteten Querschnitt eine verringerte Stahldehnung εsm, die sich aus εs2 und einem Abzugsterm infolge der Zugversteifung ergibt, angesetzt.

RF-BETON NL verwendet für die Berücksichtigung von Tension Stiffening den Ansatz über die Modellierung der Betonzugfestigkeit nach Quast [4]. Dieses Modell basiert auf einer definierten Spannungs-Dehnungs-Linie des Betons im Zugbereich (Parabel-Rechteck-Diagramm). Die grundlegenden Annahmen des Ansatzes von Quast können folgendermaßen zusammengefasst werden:

  • Volle Mitwirkung des Betons auf Zug bis zum Erreichen der Rissdehnung εcr bzw. der rechnerischen Betonzugfestigkeit fct,R.
  • Reduzierte versteifende Mitwirkung des Betons in der Zugzone entsprechend der vorhandenen Betondehnung
  • Kein Ansatz von Tension Stiffening nach dem Einsetzen des Fließens des maßgebenden Bewehrungsstabes

Zusammenfassend bedeutet dies, dass die rechnerische Zugfestigkeit fct,R keine fixe Größe ist, sondern sich auf die vorhandene Dehnung in der maßgebenden Stahl(zug)faser bezieht. Die maximale Zugfestigkeit fct,R nimmt ab der definierten Rissdehnung εcr bis zum Erreichen der Fließdehnung des Bewehrungsstahls in der maßgebenden Stahlfaser linear auf null ab. Erreicht wird dies durch die in Bild 2.137 gezeigte Spannungs-Dehnungs-Linie im Zugbereich des Betons (Parabel-Rechteck-Diagramm) und die Ermittlung eines Reduktionsfaktors VMB ( Versteifende Mitwirkung des Betons).

Bild 2.137 Spannungs-Dehnungslinie von Beton im Zugbereich mit Reduktionsfaktor VMB = 0.4

Die Spannungs-Dehnungslinie im Zugbereich kann mit folgenden Gleichungen beschrieben werden:

σc = VMB · fct,R · 1 - 1 - εεcrnPR      für 0 < ε < εcrσc = VMB · fct,R                                                        für ε > εcr  (konstanter  Verlauf) 

Die Völligkeit der Parabel im ersten Abschnitt kann durch den Exponenten nPR gesteuert werden. Der Exponent sollte so angepasst werden, dass der Übergang vom Druck- in den Zugbereich möglichst mit gleichem E-Modul erfolgt.

Bild 2.138 Spannungszustände für steigende Beanspruchung mit Tension Stiffening

Zur Bestimmung des Reduktionsfaktors VMB wird die Dehnung an der am stärksten gezogenen Stahlfaser verwendet. Die Lage des Referenzpunkts ist in Bild 2.139 dargestellt.

Bild 2.139 Bestimmung der Restzugfestigkeit für Tension Stiffening nach Quast [4].

Der Abminderungsfaktor VMB nimmt mit steigender Stahldehnung ab. Im Diagramm für den Faktor VMB (siehe Bild 2.140) ist ersichtlich, dass der Faktor VMB genau zum Fließbeginn der Bewehrung auf null reduziert wird.

Bild 2.140 Abminderungsfaktor VMB

Der Verlauf für den Abminderungsfaktor VMB im Zustand II (ε > εcr) kann über den Exponenten nVMB gesteuert werden. Erfahrungswerte sind nach Pfeiffer [5] die Werte nVMB = 1 (linear) bis nVMB = 2 (Parabel) für biegebeanspruchte Bauteile. Quast [6] benutzt in seinem Modell den Exponenten nVMB = 1(linear) und erzielt damit gute Übereinstimmungen bei der Nachrechnung von Stützenversuchen. Nach Pfeiffer [5] lassen sich mit nVMB = 2 reine Zugversuche mit akzeptabler Übereinstimmung abbilden.

Die Annahme eines Parabel-Rechteck-Diagramms für die gerissene Betonzugzone ist als Rechenhilfe zu betrachten. Auf den ersten Blick bestehen große Unterschiede zu experimentell ermittelten Spannungs-Dehnungslinien auf der Zugseite des reinen Betons.

Bild 2.141 Vergleich von Modell und Laborversuch

Bei der Betrachtung der vorhandenen Spannungen im biegebeanspruchten Stahlbetonquerschnitt zeigt sich, dass das Parabel-Rechteck-Diagramm durchaus besser in der Lage ist, die Dehnungen und Spannungen im Mittel zu beschreiben.

Bei einem Biegebalken bildet sich zwischen zwei Rissen ein Betonkörper. Dieser wirkt als eine Art Scheibe, in die durch die Bewehrung allmählich wieder Zugkräfte eingeleitet werden. Dadurch stellt sich ein sehr unregelmäßiger Verlauf von Spannung und Dehnung ein. Im Mittel lässt sich jedoch eine Dehnungsebene mit einem Parabel-Rechteck-Verlauf erstellen, durch den die mittlere Verkrümmung erfasst werden kann.

Bild 2.142 Vorhandener Spannungszustand bei Biegung

Die Höhe des anzusetzenden Rechenwertes für die Zugfestigkeit fct,R und die Rissdehnung εcr,R für das Modell von Quast hat dieser folgendermaßen vorgeschlagen.

fct,R = 120 · fcm                εcr,R = 120 · εc1 

Der Rechenwert für die Zugfestigkeit fct,R ist somit kleiner als die Vorgaben des Eurocodes. Dies ist begründet durch die Beschreibung der Arbeitslinie und der Ermittlung des Reduktionsfaktors VMB, bei der die angenommene Zugspannung und die resultierende Zugkraft nach Überschreitung der Zugdehnung nur langsam abgemindert werden. Bei einer Dehnung von 2 ⋅ εcr ergibt sich noch eine wirkende Zugspannung von etwa 0.95 ⋅ fct,R. Damit kann bei Biegebeanspruchung die Reduzierung der Steifigkeit gut vorhergesagt werden. Bei einer reinen Zugbeanspruchung sind die o. g. Werte für fct,R zu gering. Hier sollten nach Pfeiffer [5] die Werte aus EC 2 für den Rechenwert der Zugfestigkeit angesetzt werden.

Die von Quast [6] empfohlenen Werte für fct,R = 1/20 ⋅ fcm sind durch den Ansatz von 60 % der in EC 2 angegebenen Zugfestigkeiten zu erreichen. Bei dem Ansatz von fct,R = 0.6 ⋅ fctm wird einerseits das Aufreißen des Querschnittes zu früh vorhergesagt. Andererseits ist aber dadurch eine Reduktion der Zugfestigkeit unter Dauerlast (ca. 70 %) oder eine temporär höhere Last (z. B. das kurzzeitige Aufbringen der seltenen Einwirkungskombination), die zu einer geschädigten Zugzone führt, bereits berücksichtigt.

Die einzelnen Rechenwerte für die Zugzone des Betons lassen sich wie folgt beschreiben:

Tabelle 2.2

fct,R = 0.60 · fct,Norm 

Rechnerische Zugfestigkeit

ν = fcmfct, Norm 

Verhältniswert, Hilfswert

εcr,R = εc1ν 

Rechnerische Rissdehnung

Exponent für allgemeine Parabel (siehe Gleichung 2.93)

Literatur
[4] Quast, Ulrich. Zur Mitwirkung des Betons in der Zugzone. Beton und Stahlbetonbau, Heft 10, 1981.
[5] Pfeiffer, Uwe. Die nichtlineare Berechnung ebener Rahmen aus Stahl- oder Spannbeton mit Berücksichtigung der durch das Aufreißen bedingten Achsendehnung. Cuviller Verlag, Göttingen, 2004.
[6] Quast, Ulrich. Zum nichtlinearen Berechnen im Stahlbeton- und Spannbetonbau. Beton und Stahlbetonbau, Heft 9 und Heft 10, 1994.
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