Bei der Berechnung nach Theorie II. Ordnung (auch: P-Δ) wird das Gleichgewicht am verformten System ermittelt. Damit werden Verformungseffekte infolge der Belastung erfasst, die den Schnittgrößenverlauf beeinflussen. Normalkräfte im System führen in der Regel zu einer Vergrößerung der Biegemomente: Bei druckbelasteten Stäben entstehen Zusatzmomente und damit überlineare Wirkungen von Lasten und Momenten. Zugkräfte hingegen wirken sich entlastend aus.
In RFEM und RSTAB können Lastfälle und Lastkombinationen nach verschiedenen Theorien berechnet werden. Sie sind jeweils als Statikanalyse-Einstellung zuzuweisen. Ergebniskombinationen hingegen überlagern die Ergebnisse berechneter Lastfälle und Kombinationen, sodass die Berechnungstheorie nur indirekt gesteuert werden kann.
Bei der Berechnung nach Theorie II. Ordnung werden Stabilitätsprobleme untersucht, zum Beispiel Knicken. Im Bemessungs-Add-On Stahlbemessung lassen sich auch Nachweise der Stabilität unter Berücksichtigung des Biegedrillknickens führen. Mit dem Add-On Wölbkrafttorsion ist eine Analyse nach Theorie II. Ordnung mit sieben Freiheitsgraden (Wölbkrafttorsion) möglich.
Bei Stahltragwerken muss nach Theorie II. Ordnung gerechnet werden, wenn die Druckkraft im Stab 10 % der idealen Verzweigungslast übersteigt [4]. Für Betontragwerke sind bestimmte Grenzschlankheiten maßgebend. Holztragwerke werden in der Regel nach Theorie I. Ordnung berechnet.
Beispiel
Die Belastung einer Stütze wird nach Theorie I. Ordnung und Theorie II. Ordnung untersucht. Am Stützenkopf wirkt eine Vertikallast mit einer kleinen Horizontallast. Die Normalkraft hat im LF 1 keinen Einfluss auf den Momentenverlauf My. Im LF 2 ist das Zusatzmoment nach Theorie II. Ordnung jedoch deutlich zu erkennen. Bei einer weiteren Steigerung der Last (oder Reduzierung des Querschnitts) würde das Programm eine Instabilitätsmeldung ausgeben.